HELLOWEEN - Helloween

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VÖ: 18.06.2021
Bandinfo: HELLOWEEN
Genre: Power Metal
Label: Nuclear Blast Tonträger Produktions- und Vertriebs GmbH
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Wenn eine Band wie HELLOWEEN nach fast vier Dekaden des Bestehens mit einem Selftitled-Album an den Start geht, ist von vornherein klar, dass dieses Werk kein Gewöhnliches sein wird. Nach einer bewegten Karriere mit Höhen und Tiefen und zwei Staffelholzübergaben im Leadgesang gibt es viel, das es unter dem Titel "Helloween" zu subsumieren gibt. Die Herausforderung, den auskömmlichen Backkatalog mit seinen verschiedenen Phasen hinreichend zu würdigen, ist eine große und die Chance, dabei eine oskarreife Bauchlandung hinzulegen, ist ebenso gegeben wie die Aussicht auf einen historischen Triumph. Insofern setzt "Helloween" alles auf eine Karte - es geht um alles oder nichts, um Sieg oder Niederlage, um Schampus oder abgestandenes Lightbier...oder: um das Ergreifen einer einmaligen Chance, die es kein zweites Mal geben wird.

"Helloween" ist HELLOWEEN ist HELLOWEEN

Das Warten war lang, doch gut Ding will Weile haben - und wenn man das nun vorliegende Resultat nicht als die konzentrierte Quintessenz des Schaffens einer der bedeutendsten Bands im deutschen Metal-Kosmos resümieren kann, dann wird wohl morgen die Hölle zufrieren und Onkel Nergal für die nächste Papstwahl kandidieren. Denn wenn man eine Sache vorab attestieren muss, dann, dass HELLOWEEN die Frage nach ihrer eigenen Identität so ausführlich und konsequent beantworten wie wahrscheinlich keine andere Band zuvor. Angefangen bei der beispiellosen Reunion, die alle drei Leadsänger sowie das (fast) komplette Gründungs-Lineup unter einem Dach vereint, über das perfekt inszenierte Artwork bis hin zu dem Umstand, dass Ingo Schwichtenbergs Original-Drumkit für die komplett analogen Aufnahmen genutzt wurde, wurde nichts dem Zufall überlassen.

Das Ergebnis dieser akribischen Arbeit ist ein Album mit rekordverdächtiger Hitdichte, das die essentiellen Schaffensphasen der Band wie selbstverständlich miteinander verschmelzen lässt und eigentlich keinen HELLOWEEN-Fan enttäuschen kann. Das Trio aus Deris, Kiske und Hansen deckt aufgrund seiner unterschiedlichen Stile und Klangfarben einen beachtliches Gesangsspektrum ab und versteht es, sowohl die Stärken des einzelnen Sängers als auch die kollektive Durchschlagskraft souverän in Szene zu setzen.

Die Tracks, in denen Michael Kiske die Führung übernimmt, erinnern teils deutlich an die glorreichen "Keeper"-Tage und heben sich nur durch die zeitgemäße Produktion und das stellenweise komplexere Songwriting davon ab. Alleine der Opener "Out For The Glory" gleicht einer Offenbarung - die Melodien, der Gesang, die Bassläufe, dieses herrliche Oldschool-Feeling...dieser Track und "Down In The Dumps" schaffen etwas, das lange Zeit unmöglich schien oder nur als Produkt verklärten Wunschdenkens herbeisinniert wurde - nämlich das unverfälschte Flair der alten Tage glaubhaft aufleben zu lassen. Dass mit Kiskes Rückkehr entsprechende Versuche gestartet werden würden, war absehbar, doch dass der Backflash in Richtung der Spät-Achtziger so authentisch und natürlich von der Hand laufen würde, hätten sich wohl die allermeisten nicht träumen lassen.

"Fear Of The Fallen", "Rise Without Chains" und die zwölfminütige Vorabsingle "Skyfall" demonstrieren, welches beträchtliche Potenzial in der Koalition der drei Sänger steckt und machen es schwer, dem unmenschlichen Drang zum Headbangen zu widerstehen. Selten habe ich mir so sehnlich ein Gegenmittel gegen erblich bedingten Haarausfall gewünscht...d.h. direkt neben der Fähigkeit zu Zeitreisen und einem BMI von 22. Oder nehmen wir den lässigen Brecher "Indestructible" etwas genauer unter die Lupe: in den Strophen kann Andi Deris als raubeiniger Shouter glänzen und die harten Klänge gesanglich untermalen, woraufhin Michael Kiske in den Refrains seine volle Bandbreite ausschöpfen und in allen Stimmlagen begeistern kann. Ganz klar einer der stärksten Tracks der Platte.

Nicht zuletzt können auch die Deris-Songs auf ganzer Linie punkten. Beim dreckigen Rocker "Mass Pollution" bedauert man regelrecht, dass das Motorrad auf der Bühne schon an den Metalgod verpachtet ist und bei "Cyanide" dürften jedem Fan der jüngeren HELLOWEEN-Historie die Herzklappen im Takt der Doublebass hämmern. Niemand sonst wäre in der Lage, besagte Tracks derart darzubieten und mit Magie auszufüllen - daher ist es essentiell, dass auch diese Facette der Band in ihrer nun breiter aufgestellten Form nicht ins Hintertreffen gerät.

Bis hierhin liest es sich, als wäre die Platte in allen Disziplinen ohne Fehl und Tadel - und das ist sie auch...also fast, denn die ein oder andere Optimierung wäre objektiv betrachtet schon drin gewesen. "Best Time" und die melancholische Ballade "Angels" bspw. würden im Einzelranking "lediglich" vier Punkte einstreichen und im sonst durchweg starken "Robot King" ist Michael Kiske für mein Gehör etwas zu stark im Engelschor unterwegs (dagegen klingt selbst Tobias Sammet wie ein stimmbrüchiger Shishabar-Inspektor). Auch das Erstwerk "Walls Of Jericho" hätte stilistisch etwas stärker vertreten sein können. Oder womöglich ein ganzes Stück mit Kai Hansen am Leadmikro? Die lange Geschichte der Band gäbe sicherlich noch mehr Ideen preis...aber was bedeutet das schon im Kontrast zu der erstaunlich langen Liste von Granatensongs, die dieses ambitionierte Werk zu bieten hat? Ein wenig fehlender Feinschliff hier und der ein oder andere unerfüllte Fanwunsch da können nicht mehr bewirken, als dass ich nicht gleich die ganze Fünf auf den Tisch blättere (und darüber habe ich lange und ernsthaft nachgedacht).

Das ultimative HELLOWEEN-Album?

Damit ist klar, dass das Projekt "Helloween" hält, was es verspricht. Die schier unermesslichen Erwartungen an das historische Lineup, das alle Stile und Epochen in einem Album zu vereinen sucht, werden in (fast) jeder Hinsicht eingehalten oder übertroffen. Das unverrückbare Statement, das mit der Namensgebung des Albums verbunden ist, kann im direkten Schulterschluss mit den vergangenen Großtaten der Kürbisse in die Geschichte eingehen. Und wenn man all die Aspekte zusammenzählt, die das Gesamtwerk letztlich ausmachen, dann kann man sich nicht der Erkenntnis verwehren, dass der Selftitled-Dreher nicht weniger als das ultimative HELLOWEEN-Album mit dem stärksten und vollständigsten Lineup der Bandgeschichte geworden ist. Dieses Monument nicht gnadenlos abzufeiern ist wie ein Leben ohne Heavy Metal: möglich, aber sinnlos.

Bleibt nur zu hoffen, dass diese perfekte Partie weder von dem zu erwartenden Erfolg, noch den Egos oder womöglich einem Streit um das letzte Stück Käsekuchen gestört wird...

 

Dieses Review ist Teil unseres HELLOWEEN Gangbang-Reviews - 1 Album, 7 Meinungen!

Hier weiterlesen: Unser Interview mit Michael Kiske



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (13.06.2021)

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