LORD OF THE LOST - JUDAS

Artikel-Bild
VÖ: 02.07.2021
Bandinfo: LORD OF THE LOST
Genre: Gothic Metal
Label: Napalm Records
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Das „Judas“-Epos von LORD OF THE LOST lässt mich ein wenig daneben stehen. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Die Band ist seit Jahren für ihre Wandelbarkeit bekannt und man weiß, dass sie sich nie in ein Genre pressen lassen. Denkt man, sie spielen Gothic, wechseln sie zu Disco-Metal, denkt man, sie machen Metal, kommt ein akustisches Orchester/Streicher/Chor-Werk. Und nach dem wieder in eine andere Richtung driftenden letzten Album „Thornstar“ liefern sie mit „Judas“ nun ein Gesamtkunstwerk, dass sich erneut nicht einordnen lässt und keine Grenzen kennt.

Das Doppelalbum bricht nicht unbedingt die Logik der Entwicklung der Band, weil es ist wiederum ein Werk, bei dem sie ihrem Markenzeichen „Kunst ohne Grenzen“ treu bleiben. Es ist aber ausufernd und sehr breit ausgerichtet, ich habe nichts mit dieser Opulenz erwartet. Und um dieses Thema drehen sich die Songs – um die Geschichte des Judas Iscariot. Das Erzählwerk spinnt sich vom ersten bis zum letzten Song durch. Das Songwriting dahinter strotzt vor Vielseitigkeit bei der Instrumentalisierung: man hört die üblichen Metal-Instrumente, aber auch großen Chor, Orgel, Piano, Streich-Orchester, Cello und anderes, was man eher in der Kirche oder in der Oper vermutet. Ähnlich ist der Gesang, den Chris von Erzählstil über Growling, dunkle Sangestöne bis Engelsstimmchen klingen lässt.

Recht oft wird man beim Durchhören der unterschiedlichen Songs an großes Kino erinnert. Das liegt natürlich einerseits an der bildgewaltigen und dazu passenden Umsetzung der Songs in Videomaterial, das mit Stil und Abgefahrenheit rüber kommt. Die Band scheut keine Kosten und Anstrengungen, um mit opulenten Bildern zu protzen, die andererseits aber eher aus einem Albtraum, als einer Opern-Verfilmung entstanden sind. Andererseits liegt es am Songaufbau selbst und der Abfolge sowohl von einem Stück zum nächsten, als auch innerhalb eines Stückes. Insofern sind wir wieder beim Gesamtkunstwerk und sehen den roten Faden, der sich hier durchzieht.

An sich wird einem bei so viel Abwechslung und künstlerischer Offensive nicht fad – und doch kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich einiges wiederholt und oftmals Songs eine Art Spiegelung von sich selbst sind. Womit ich den Kreis zu meinen einleitenden Worten schließe: ich bin mir nicht sicher, ob mir dieses Doppel-Werk nun so richtig gut gefällt. Es ist neu, es ist anders, es ist gewaltig, es ist ein Entwicklungsschritt, der es in sich hat, und die Band in ein völlig neues Licht rückt. Aber es lässt mich auch ein wenig enttäuscht zurück, weil ich den Stil der alten LOTL mochte und mir dieser im Doppelalbum fehlt.
Für mich steckt hier zu viel Kunst dahinter, zu viel Konzept. Mir fehlt die Unbeschwertheit der Musikrichtung Rock & Metal. Das Party & Rock’n’Roll Feeling. Mir fehlt dieser Teil von LORD OF THE LOST komplett, der witzig, unbeschwert, punkig, schräg, modern, stylish, breitentauglich und anders war.

Die beiden Alben haben eine schwere Trägheit, die in die Kirche passen – und das ist ein Platz, wo man mich nicht findet. Die Musik ist mir zu schwer, zu träge, zu gleichförmig. Nach anfänglicher Begeisterung schleppe ich mich recht bald durch über 20 Songs und frage mich, wie lange ich das noch aushalten muss. Und ich befürchte, dass es wohl mehr alten Fans so gehen wird und nicht nur mir.


Anspieltipps:
Natürlich gibt es einige Highlights, die man sich anhören sollte, aber wie gesagt, zu viel Metal darf man da nicht erwarten, und wenn er kommt, dann nur in Teilen der Songs.

„The Gospel Of Judas“ – das ist brachial, intensiv und gewaltig. Ein Song mit den typischen Elementen, die die Musik von LOTL in den letzten Jahren gestaltet haben: viel Elektro, gewaltiges, cineastisches Songwriting, gewaltige Chöre, harte Riffs, erhabene Keyboard Klänge und düstere, brachiale Beats. Eine sehr gut gemachte Umsetzung, die ihnen hier gelingt.

“The Ashes Of Flowers” – quere Tasten- und Paukenklänge. Wieder klarer Gesang im Wechsel mit Chören. Schöne, klare Gesangsparts wechseln mit heftigen musikalischen Intermezzos. Größe und Opernarien-Gesang meets Metal, anders kann ich es nicht beschreiben. Durch den Gesang werden Höhepunkte herausgearbeitet, Betonung erfolgt durch Schlagzeug und Chor.

„For They Know Not What They Do” ist völlig anders. Das ist Oper, das ist Musical, das ist eine Messe in der Kirche. Eine andere Art der Metal Messe, mit großem Chor, zartem Sound und hartem Sound. Hier wird einem der Begriff „Kunst“ so richtig bewusst. Das ist der Song, der auf jeden Fall Grenzen überschreitet.

Natürlich gäbe es bei über 20 Stücken noch mehr Anregungen zum Reinhören, aber ich denke, für die Stormbringer Leserschaft, die eher in der harten Ecke angesiedelt ist, reicht das vorerst. Wer gerne über die Grenzen des Metal raushören will, ist mit den stilvollen Videos aufs Beste bedient. Wer dadurch auf den Geschmack gekommen ist, kann zuschlagen, denn das Album hat einen Faden, der sich durch zieht und es gibt keine allzugroßen Drifts außerhalb dieser Linie.

Puh – hier Punkte vergeben, also bewerten, ist nicht leicht. LORD OF THE LOST heben sich mit „Judas“ ab von der Masse und entfalten sich verstärkt in eine theatralische Richtung mit hohem künstlerischen Anteil. Es steht also Gesamtkunstwerk mit überlegtem Konzept und den Kenntnissen und Fähigkeiten einer seit Jahren aktiven und reifenden Band gegen Wiederholung und „mir fehlen die alten LOTL“. Das ist gut, aber in meinen Augen nicht unbedingt TOP.



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Lady Cat (23.08.2021)

ANZEIGE
ANZEIGE