TIMES OF GRACE - Songs of Loss and Separation

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VÖ: 16.07.2021
Bandinfo: TIMES OF GRACE
Genre: Metalcore
Label: Eigenproduktion
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Lineup  |  Trackliste

Eine Dekade ist es her, seit uns Adam Dutkiewicz und Jesse Leach das erste Mal mit ihrem Projekt TIMES OF GRACE in einen karthatischen Strudel purer Melancholie gerissen haben. Die beiden Musiker, die natürlich große Bekanntheit durch die Band KILLSWITCH ENGAGE erlangen konnten, welche ja bis heute ein absoluter Genrekönig ist, haben sich in diesem Jahr wieder zusammengefunden, um ein erneutes berührendes und musikalisch einwandfreies Album zu kreieren. Dabei ist die neue Scheibe auch in Bezug auf den Vorgänger, der vor allem durch Songs wie "Strenght in Numbers" zu bestechen wusste, ein deutlicher Fortschritt in eine noch individuelle Richtung. "The Hymn of a Broken Man" entstand während sich sowohl Leach als auch Dutkiewicz in einer nahezu ausweglosen Situation sahen. Allein der Titel bildete die tiefen inneren Grabenkämpfe der beiden ab und war von einer ehrlichen Poesie getränkt, die zwar textlich keine leichte Kost, aber musikalischen Hochgenuss versprach. Schließlich ist eine Hymne immer noch keine Elegie. Wie die Band selbst verlauten ließ, ist es natürlich der Umstand der letzten eineinhalb Jahre, der die Ideen für die neue Platte anreicherte, nicht umsonst heißt die Scheibe "Songs of Loss and Separation", denn nicht wenige von uns sahen sich abgeschottet von ihren Liebsten, oder mussten diese gar betrauern. Man merkt schon bei der äußerlichen Betrachtung des Albums, dass es hier nicht darum geht positive Vibes zu spreaden, sondern der guten alten Katharsis, also seelischen Reinigung negativer Emotionen, für alle, die im Rumänischen nicht so sattelfest sind, freien Raum zu lassen. 

Das wunderbare Albumcover wurde von John McCormack gestaltet und greift das elementare Thema des Albums perfekt auf. Denn vor allem auch in den Videos zu "Currents" und "Medusa" ist der endlose Ozean der zentrale Topos, der die unendlichen Weiten der menschlichen Empfindungen widerspiegelt. Atmosphärische Drohnenaufnahmen und melancholische Zeitlupen, sowie das regelmäßige Zurückspulen von Szenen, in denen die Gischt an die Klippen kracht, erzeugen ein Gefühl von fast therapeutischem Ausmaß. Das ist natürlich auch so gedacht und die Musiker sagen selbst, dass es fast gruselig sei, dass beide von ihnen erst durch so schwere Zeiten gehen mussten, um nach zehn Jahren ein Album zu schaffen. Man sieht jedoch, dass diese Depression, die hier wirklich unverblümt und ehrlich zu Tage tritt, auch einen positiven Aspekt haben kann, nämlich Kunst. Also ist an dem (zugegebenermaßen sehr ausgelutschten) Sprichwort: "Erst unter Druck entstehen Diamanten" Doch etwas dran. 

"The Burden of Belief" eröffnet die Reise durch das Meer der Melancholie. Passend dazu ist zunächst das weiche Rauschen der See zu hören, welches von einer melodischen Gitarre abgelöst wird. Leach zeigt gleich zu Beginn seine gesanglichen Qualitäten und hat so unfassbar viel Druck hinter seiner Stimme, dass es einem die Gesichtszüge in leichter Ehrfurcht einfrieren lässt. Der Song schwillt immer mehr an und bleibt dabei so zugänglich, dass man dem Wogen der Klänge entspannt folgen kann. Es ist als bilde das Stück den Wellengang ab, der sich mal gewaltiger, mal sanfter dem Schiffe auf See anschmiegt. Augen zu und Fantasie an und man schwindet sofort dahin. Ein perfekter Einstieg in die Platte. 

"Mend You" ist von seiner Art her ganz ähnlich, denn textlich geht es darum, dass es schwer sein kann, die Gefühle, die man in sich trägt in Worte zu fassen, sodass man auf einmal gar nicht mehr miteinander spricht. Verdeutlicht wird dies durch einen Effekt auf dem Gesang, der diesen passagenweise klingen lässt, als befinde sich Leach unter Wasser. Zum Ende des Stücks darf dann sogar der typische gutturale Gesang Leachs ordentlich Druck machen, ohne dabei das Stück zu sehr nach KILLSWITCH klingen zu lassen. Schwer und langsam wallen die Instrumentals dahin und bleiben sich ihrem Tempo treu. 

Mehr Dampf macht dann zu Anfang "Rescue", welches durch die treibenden Riffs und wummernden Bassläufe schon ein wenig mehr in Richtung des letzten KILLSWITCH-Albums schielt, im Refrain doch die gewohnten gefühlvollen Saiten anschlägt. Nicht zuletzt der sirenenhafte Chor zum Ende des Songs trägt zu der Atmosphäre bei, fast als ob sich ein einsamer Schiffskapitän von dem Gesang der Nixen gerettet fühlt. 

TIMES OF GRACE schaffen es einfach Songs zu schreiben, die melancholisch und gleichsam aggressiv sind. Kein Stück ist eine reine Ballade, ohne härtere Elemente und vice versa. Der Stil ist vielleicht nicht unbekannt, aber in dieser Konsequenz einfach unfassbar gut umgesetzt. Natürlich ist kein Song dabei, den man sich als Single auf einer Party anhören würde, oder der die Menge dazu bewegt sich in wilde Moshpits zu stürzen, aber das ist eben auch nicht der Anspruch. Unbarmherzig überrollen uns Leach, Dutkiewicz und auch Gluszak mit diesem Sound, bei dem man nicht weiß, ob man nachdenklich ins Nichts starren, oder kopfnickend durchs Zimmer wandern soll. Das beste Beispiel ist "Far From Heavens". Der Song klingt so tief und böse, verliert aber nie die melancholische Note und zeigt fast eine Form von Aggression, die einer depressiven Stimmung innewohnen kann. Als schreie Leach all seine inneren Dämonen an. 

"Bleed Me" ist zwar ein ganzes Stück ruhiger, als seine Vorgänger, aber immer noch zu abwechslungsreich, um als Ballade gelten zu können. Gerade die Dopplung der gutturalen Stimme Leachs, mit dem klaren Gesang klingt zu böse, um nur in der Tradition des Blues zu stehen. 

Die Fade-Outs der Stücke fallen besonders auf. Egal ob der Anrufbeantworter in "Bleed Me", oder das vinylene Knacken in "Far From Heavens". Alles wirkt gut überlegt und fließt ineinander über. So schließt auch das nächste Stück "Medusa" nahtlos an dessen Vorgänger an. 

"Medusa" ist wohl das Stück, welches am meisten begeistert. Allein textlich steckt so viel in dem Song, dass man vermutlich Stunden damit zubringen könnte, diesen auseinanderzunehmen. Im Video zu dem Track ist wieder einmal das Meer in verschiedensten Blickwinkeln zu sehen und natürlich dürfen bei dem Titel auch keine Schlangen fehlen. Musikalisch lässt sich das Stück sehr viel Zeit jede Einzelne der musikalischen Facetten zu beleuchten, oder spricht man an der Stelle eher von Schuppen? Die treibenden Riffs und das bedrohliche vor und zurück des ganzen Instrumentals sind grandios. Man fühlt sich fast selbst gefangen im versteinernden Blick der Medusa. 

Wo wir schon bei Wasser im Musikvideo waren, darf "Currents" gleich dort anschließen. Auch soundtechnisch walzt dieser Track mit einer ähnlichen Gewalt über das Gehör, ebenso unnachgiebig wie die See. Cäpt'n Jack Sparrow hätte größte Freude daran. Wobei gerade die langsame bedrohliche Gitarre den Anschein erweckt, dass in den Untiefen des Ozeans unzählige Ungeheuer nur auf ihre Chance warten alles zu verschlingen. 

Nach diesen beiden mächtigen Songs darf es mit "To Carry The Weight" etwas ruhiger werden und die pure Melancholie schafft sich Platz vor der erdrückenden Gewalt. Erstaunlich, wie TIMES OF GRACE es also auch schaffen die verschiedenen Aspekte von Trauer, Einsamkeit und Verlust in einem Album zu vereinen. Über die traurigen Songs hin zu fast aggressiven Stücken und letztlich nahezu aufbauenden Tracks wie "Cold". Fast wie die fünf bekannten Phasen der Trauer, nur noch durchgewürfelter, scheint diese Platte aufgebaut. Die klare Stimme von Jesse Leach, der so viel Gefühl und Druck vereinen kann, zusammen mit den versatilen Drums und natürlich dem ausgezeichneten Gitarrenspiel Dutkiewicz' entsteht eine so ehrliche und interessante Platte, dass es fast euphorisiert, gerade weil die Musik so fühlbar und verständlich ist. 

Das letzte Stück "Forever" legt die Vermutung tatsächlich nahe, dass sich hier die Akzeptanz der eigenen Gefühle und der Umstände darstellt... denkt man. Doch zum Ende des Stücks kommt der gutturale Gesang fast überraschend und nimmt den Song dermaßen ein, dass doch das erdrückende Gefühl das letzte bleibt, mit dem man aus dem Album entlassen wird. In der Tat: Die Scheibe ist kompromisslos und findet kein versöhnliches, sondern fast angsteinflößendes Ende. Der abschließende gegrowlte Satz "No one can love you like I do" wirkt nicht wie eine Zuneigungsbekundung, sondern wie eine Drohung. 

Mit ein paar Minuten Verarbeitungszeit, nachdem man diese Platte beendet hat, muss man feststellen, dass dieses Album absolut gelungen ist. Es bleibt sich thematisch treu und textlich setzt sich die Metapher des Wassers in jedem Stück fest. Wie eben die Gezeiten wallt das Album von ruhiger Melancholie zu erdrückender Aggression. Man hat sich über alles Gedanken gemacht, selbst optisch passen Cover und Musikvideos ideal zu Musik und Text. Der Stil ist in der Tat ein anderer als der von KILLSWITCH ENGAGE und auch ein anderer als auf "The Hymn of a Broken Man". Die Platte braucht Zeit und ein aufmerksames Gehör, um wirklich ihre Klasse zu entfalten. Wer diese Zeit und die Konzentration hat und sich auch kathartisch von negativen Emotionen freimachen will, sollte auf jeden Fall reinhören. 



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Joel Feldkamp (05.08.2021)

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