FREI.WILD - 20 Jahre - Wir schaffen Deutsch.Land

Artikel-Bild
VÖ: 10.12.2021
Bandinfo: FREI.WILD
Genre: Deutschrock
Label: Rookies & Kings
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste

Zwanzig Jahre FREI.WILD, zwanzig Jahre Deutschrock, zwanzig Jahre einschlägiger Ruf, zwanzig Jahre Achterbahnfahrt als Skandalband. Zwanzig Jahre die bis heute diskutierte Frage nach der politischen Gesinnung und der korrekten medialen Behandlung einer Band, die seit jeher polarisiert. Mit "20 Jahre - Wir schaffen Deutsch.Land" besingt das Brixener Quartett seine eigene, steinige Historie und resümiert, wofür FREI.WILD stehen.

Bei einer Frage wie dieser denken die allermeisten höchstwahrscheinlich an Kontroversen, Skandale und Skandälchen: man erinnere sich an die Querelen um die Echo-Verleihung 2013 und die Ansage der Band JENNIFER ROSTOCK, dass Fans mit FREI.WILD-Shirts auf ihren Konzerten nicht willkommen seien. Trotz (oder womöglich wegen) derartiger Vorfälle konnte sich die Band innerhalb kurzer Zeit an die Spitze des Deutschrock spielen und mit ihrem aktuellen Werk erneut Platz eins der deutschen Albumcharts belegen. Von ihren Kritikern zeigt sich die Band selbstredend unbeeindruckt und verteilt mit dem lässigen Schunkelrocker "Echo, Platin und Gold" standesgemäße Ohrfeigen an ihre Gegenspieler. Hämisch triumphierend unterscheidet sich die ironische Dankesrede an die Kritiker der Band von vergleichbaren Schmähschriften, die nicht selten dazu neigen, kollektives Außenseitertum und Opferrolle knüppelernst zu nehmen. Ganz ohne diese Attribute geht es zwar auch hier nicht, aber immerhin einen guten Deut lockerer, lustiger und damit nicht zuletzt auch souveräner (vgl. auch das Auftreten der Band in den sozialen Netzen).

Der Band (bzw. genau genommen Philipp Burger) heute noch rechtsextreme Tendenzen zu unterstellen, hätte gleichwohl einen anachronistischen Charakter. Dagegen sprechen die Distanzierungen Philipp Burgers von seiner rechtsgerichteten Vergangenheit (vgl. auch seine frühere Band KAISERJÄGER), die sich von Beginn an explizit gegen (Rechts-)Extremismus richtenden Texte (zuletzt in "Verbrecher, Verlierer, Stalin und der Führer") und die "Nazis raus!"-Chöre auf Konzerten. Doch wegen eben dieser Vergangenheit und nicht zuletzt ihrer dick aufgetragenen Heimatverbundenheit wird die Band bis heute kritisch betrachtet. Aber wie viel Zündstoff bietet der obligatorische Heimatsong "Heimat im Herzen und Neuland im Blut" heute eigentlich noch? In Zeiten erstarkender Rechtspopulisten darf man solche Texte sicherlich kritisch hinterfragen. Auch darf man die durch den Text rübergebrachte Friede-Freude-Eierkuchen-Vision von globaler Heimatverbundenheit, in der jeder sein Fleckchen Erde verehrt, sich alle gern haben und keiner dem anderen an die Gurgel will, durchaus als romantisch verklärt oder leichtgläubig ansehen. Aber Grund zur Panik und Hexenjagd bietet ein legerer Text wie dieser am Ende nicht und wenn nicht zufällig FREI.WILD auf dem Cover stünde, würde wahrscheinlich kein Hahn danach krähen. Einzig der plakative Pauschalanschiss an die "Antifa-Wichser" sorgt (insb. in Unkenntnis über die spezifischen Hintergründe, aber gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Großwetterlage) für Irritation ("Wer wenn nicht wir LUAA").

So weit, so gut. Musikalisch wie eh und je und etwas mehr back to the roots gehalten, bietet das Jubiläumsalbum typisch raubeinigen Deutschrock mit einer Reihe ungehobelter Stimmungsmacher, die die Atmosphäre in siffigen Kneipen, Proberäumen und Konzerthallen einfangen. Doch neben Rückblicken auf die saufträchtigen Anfänge im Proberaum ("Halbstark, laut und jung", "Alarm im Proberaum"), dem hyperprolligen Ska-Rocker "Joanna an der Bar" und dem Rock'n'Roll-lastigen Roadsong "Es ist Wahnsinn, es ist Liebe" finden sich auch erneut reflektierende Texte auf der Platte. "Verbietet meine Freunde" bspw. behandelt die Schattenseiten von zwei Dekaden Alarm im Proberaum und pointiert das alte soziale Trinkdilemma mit seiner (sicherlich nicht ganz so bierernst gemeinten) "meine Freunde sind an allem schuld"-Message. Ebenfalls sehr gelungen ist das aggressive "Wirklich so im Arsch", das sich offen dem Tabuthema "psychische Erkrankungen" widmet und damit partiell das alte Deutschrock-Klischee von unbeugsamer Stärke und Unverwundbarkeit schamlos über Bord wirft.

Zwanzig Jahre Bandgeschichte bieten reichlich Textstoff und entsprechend breit gefächert sind die Texte auf "20 Jahre - Wir schaffen Deutsch.Land". Wie man hört, stehen in FREI.WILDs Rückblick vorrangig die positiven Aspekte und Erfolgsgeschichten ihres Werdegangs im Mittelpunkt, womit wir unterm Strich schwerpunktmäßig ein "normales" und gutklassiges Deutschrock-Album vor Ohren haben. Eines, das in den üblichen Streitthemen nicht allzu hart aneckt und sich trotz einer gewissen Reife nicht zu schade für prollige Trunkdichtung und verstopfte Klos ist. Bleibt abzuwarten, was die nächsten zwanzig Jahre mit sich bringen oder ob am Ende doch noch der Klempner einkehrt.



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (07.01.2022)

ANZEIGE
ANZEIGE