TOXPACK - Zwanzig.Tausend Volt

Artikel-Bild
VÖ: 28.01.2022
Bandinfo: TOXPACK
Genre: Punk Rock
Label: Napalm Records
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste

Zwanzig Jahre, zwei Dekaden - in einer so langen Zeit kann viel passieren: One-Hit-Wonder verschwinden in der Bedeutungslosigkeit, ehemalige Dosenbier-Punkbands schippern mit Umweg über den sinnbildlichen TIM BENDZKO-Toursupport gen Fernsehgarten und METALLICA nehmen wenn's gut läuft ein Album auf. Lange bestehen können viele, aber auf dem Weg nach oben den Boden unter den Füßen zu behalten - das schaffen die wenigsten. Im Grunde läuft's doch im Musikbusiness wie in der Energiewirtschaft: die großen Übertragungsnetzbetreiber erfreuen sich mit 380.000 Volt einer exorbitanten Reichweite, sind aber abgehoben, bürokratisch, wasserköpfig und überreguliert. Dagegen läuft es bei den kleinen, regionalen Akteuren, die im Vergleich dazu mit bescheidenen "Zwanzig.Tausend Volt" umher dümpeln, ein gutes Stück chaotischer, dafür aber bodenständiger und näher am Geschehen.

Womit wir unweigerlich bei TOXPACKs Jubiläumsalbum "Zwanzig.Tausend Volt" wären. Der Albumtitel, der sowohl auf den runden Bandgeburtstag als auf den Zustand musikalischer und lyrischer Spannung abhebt, trifft den Nagel wenn man so will genau auf den Kopf. Das Berliner Quintett ist auch nach zwanzig Jahren noch ein sprichwörtlicher Versorger zum Anfassen, der seine Bodenhaftung in keinster Weise verloren hat. Unverblümt rabaukig wie eh und je erteilen Schulle und Co. ihren Hörern vierzehn (mit Intro fünfzehn) Lektionen in Sachen Streetcore und präsentieren sich dabei kein Stück sanftmütig oder müde. Die nach wie vor ungebrochene "Spannung" und Authentizität ist die große Stärke der Platte, die mit dem offensiven Titelsong, dem Rock'n'Roll-affinen "Wecke den Kampfgeist" oder dem veritabel ohrwurmigen "Wehe, wenn wir losgelassen" wieder einige angehende Gassenhauer und Kneipen-Zerlegungs-Soundtracks im Gepäck hat.

Kämpferische Unterhund-Lyrik, Deutschrock-typisches, verbales Bizeps-Posing und klassische Stehaufmännchen-Songs wie "Wecke den Kampfgeist", "Bastarde für alle Zeit" oder "Schweinehund" gehören hier einfach dazu, auch wenn die mantraartigen Texte nach mehreren Dekaden Szeneangehörigkeit irgendwann ihren Reiz verlieren und man dazu den ein oder anderen boshaften Vergleich anstellen könnte: "Echte Kämpfer können fallen, doch stehen immer wieder auf", "Und nur Kämpfer können siegen. Steh auf, beweg deinen Arsch oder bleibst du weiter liegen", "Sieger stehen da auf, wo Verlierer..." [in der Redaktion kollidiert ein schwerer Locher unsanft mit dem Hinterkopf des Verfassers und eine Stimme mit sächsischem Akzent unterbricht den Autoren-Flow jäh: "Böser Lord! Aus!"]. Lyrisch gehaltvoller, doch nicht weniger explizit im Ton kommen hier das topaktuelle Mahnmal "Letzte Warnung", das nahezu philosophische "Ozean voll Scheiße" oder die eindringliche Streetcore-Ballade "Himmelwärts" rüber.

Die üblich-verdächtigen und repetitiven Texte sollte man bei dieser Art von Musik nicht überbewerten, da sie wie schon erwähnt dazugehören wie das Bier zum Punkrockfestival. Was allerdings regelmäßig für Stirnrunzeln und Zähneknirschen sorgt, sind die stellenweise mehr als aufdringlichen Parallelen. Während hier und da die Rheinberger Abbruch- und Recycling-Spezialisten von BETONTOD oder die Frankfurter Stadtmusikanten fröhlich durchschimmern, schielen einige Hooklines so offenkundig mit Stielaugen nach Düsseldorf, dass es schon fast nach Split-Release klingt. Ich meine, wenn BETONTOD in einem Song namens "Keine Popsongs!" Melodien von MODERN TALKING verwursten, kann man das noch getrost als Persiflage interpretieren, aber wenn gut die Hälfte der Songs mit teils unverblümten Versatzstücken um die Ecke kommt, hat das schon einen faden Beigeschmack.

Aber machen wir das Teil nicht schlechter als es ist. TOXPACK haben auch nach zwanzig Lenzen noch Feuer im Arsch wie eine junge Hüpferkapelle, die mit drei Haaren am Gemächt im Freudenhaus drängelt. Abgesehen mal von der ein oder anderen Leihgabe ist "Zwanzig.Tausend Volt" ein authentisch ranziges und ungeschliffenes Stück verbaler Straßenkampf, der sich nur durch seine professionelle Produktion vom Postulat „echter“ Youngster-Underdogs unterscheidet. Und das meine ich nach so langer Zeit im Geschäft als ausdrückliches Lob.



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Lord Seriousface (22.01.2022)

WERBUNG: Hard
ANZEIGE
ANZEIGE