BLOODYWOOD - Rakshak

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VÖ: 18.02.2022
Bandinfo: BLOODYWOOD
Genre: Folk Metal
Label: C Squared Music
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Lineup  |  Trackliste

So langsam scheine ich mich wohl zum Dr. Masala im Hinblick auf harte Klänge aus Curryland zu entwickeln. Bislang gibt es von mir bei Stormbringer bereits Rezensionen zu den indischen Platzhirschen KRYPTOS sowie den Aufsteigern AGAINST EVIL, und nun also BLOODYWOOD. [By the way – bekennender Bollywood-Fan bin ich auch noch! Anm. d. Verf.]

Waren die bis dato besprochenen Combos doch eher Vertreter des traditionellen (Thrash und Heavy) Metal, so gehören die Newcomer BLOODYWOOD zur Generation modern ausgerichteter Bands. Das Sextett bezeichnet seinen Stil selbst als 'Indian Street Metal'. Für alle, denen diese Umschreibung zu undurchsichtig ist: Die sechs äußerst ambitioniert zu Werke gehenden Herren mixen in ihren Songs Groove/Nu Metal mit Rap und Core-Versatzstücken. Dazu gesellen sich klarer und gutturaler Gesang sowie (Gang)Shouts. Als besonderes Markenzeichen verwebt die Band diesen doch sehr modernen Sound mit traditionellen folkloristischen Klängen und kreiert so eine speziell für westliche Ohren reichlich exotische aber auch überaus spannende Melange.

Kurz noch ein paar Worte zum bisherigen Werdegang von BLOODYWOOD. Der Name ist ein Wortspiel und eine augenzwinkernde Anspielung auf die Anfänge der Band. Alles begann (typisch zeitgenössisch) bei YouTube, als Flötist und Axtschwinger Karan sich mit dem Sänger Jayant zusammentat, um auf einem eigenen Kanal bekannte Bollywood-Songs zu covern und zu metallisieren.

Anmerkung: Obwohl die kommerziell erfolgreichsten Vertreter des Hindi-Kinos mittlerweile auch bis nach Europa geschwappt sind, dürfte für einen Großteil der Stormbringer-Leserschaft die (ironisch an das US-amerikanische Kino-Imperium angelehnt) als Bollywood (Wortspiel aus Bombay (dem heutigen Mumbai) und Hollywood) bezeichnete Indische Hindi-Filmindustrie bislang wohl eher unbekannt sein.

Dem Fan dieser Form der cineastischen Unterhaltung allerdings treiben Filmtitel wie "K3G" ("Kabhi Khushi Kabhie Gham – In guten wie in schweren Tagen"), "K2H2" ("Und ganz plötzlich ist es Liebe – Kuch Kuch Hota Hai"), "My Name Is Khan" oder "Denn meine Liebe ist unsterblich – Mohabbatein" bzw. Schauspielernamen wie Shah Rukh Khan, Kajol, Amitabh Bachchan, Aishwarya Rai, Priyanka Chopra, Hrithik Roshan oder Kareena Kapoor ein Lächeln ins Gesicht, ein Stahlen in die Augen und Sturzbäche von Tränen der Emotionalität in Tonnen von bereitstehenden Papiertaschentüchern.

Typische Bollywood-Streifen haben eine Laufzeit von mindestens zweieinhalb Stunden oder mehr, sind vor allem in Sachen Erotik extrem konservativ und meist selbstzensiert, verzichten selten auf komische Szenen mit typisch indischem (für europäische Sehgewohnheiten oft befremdlichen) Humor und beinhalten unabhängig vom Genre (egal ob Drama, Liebesfilm, Actioner oder sogar Horror-Movie) im Normalfall (Ausnahmen bestätigen auch hier natürlich die Regel) zwischen vier und acht integrierte, opulent ausgestattete und aufwendig choreografierte Tanz- und Gesangsszenen (ähnlich die entsprechenden Parts in westlichen Musicalfilmen).

In diesen Songs wird selten die Handlung vorangetrieben, diese aber erzählerisch kommentiert, sowie wichtige Schlüsselszenen verstärkt und emotional vertieft (siehe als Beispiel das Video zu "Bole Chudiyan"). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesang in den Bollywood-Filmen nie durch die Schauspieler erfolgt, sondern ausschließlich durch eine Handvoll Playback-Sängerinnen und Sänger, die meist über Jahrzehnte hinweg den verschiedensten Filmen ihre Stimmen leihen und die genauso als Superstars verehrt werden, wie die Schauspieler selbst.

So viel dazu, doch nun vom Masala-Kino wieder back to BLOODYWOOD.

Die Videos, die von den Indern zu ihren Stücken kreiert wurden, erfreuten sich schnell zunehmender Beliebtheit. Nach und nach begannen BLOODYWOOD auch Songs westlicher Künstler zu covern und erregten vor allem mit der Version von LINKIN PARKs "Stay Heavy" erstmals auch international größeres Aufsehen. In der Folge vervollständigte die Band ihr Line-Up mit dem Rapper Raoul Kerr, Bassist Roshan, Drummer Vishesh und dem Spezialisten für indische Perkussionsinstrumente, Sarthak Pahwa.

Über die Bandcamp-Plattform wurde 2017 ein komplettes Album mit Coverversionen realisiert. Zudem begann man, vermehrt eigene Songs zu schreiben. Der erste Hit aus der eigenen Songwriting-Schmiede war "Ari, Ari", eine Nummer, die bei YouTube mittlerweile über 5,7 Mio. mal geklickt wurde. Danach war es nur eine Frage der Zeit, dass auch ein komplett aus eigenen Tracks bestehender Longplayer das Licht erblicken würde. Und Voila! Mitte Februar war es so weit, und BLOODYWOOD präsentierten der Metalwelt ihr Full Length Debüt "Rakshak".

Und die neue Silberscheibe startet fett! Bereits der Opener "Gaddaar" macht keine Gefangenen und donnert und groovt mit mächtig Dampf aus den Boxen. Wie weiter oben schon geschrieben ist der Sound sehr modern. BLOODYWOOD zeigen schon im ersten Stück, dass Nu Metal anno 2022 noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Die aggressive Stimmung des Tracks wird durch die folkloristischen Elemente etwas aufgebrochen. Aber nichtsdestotrotz ist "Gaddaar" ein wütendes Lied mit politischen Lyrics über Missstände wie dem Klüngel von Staat und Religion, Korruption und Hetze. Gleichzeitig beinhaltet der Song auch die Aussage, dass BLOODYWOOD für alle (Inder) da ist, egal welche Sprache man spricht, oder welchem Glauben man angehört: " I greet you in Urdu. I greet you in Hindi. I use the Sikh battle-cry. And value the compassion of Christ..."

Generell sind BLOODYWOOD alles andere als eine Spaß- oder Party-Combo. Die Texte setzen sich ausnahmslos mit (zwischen)menschlichen Problemen und verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander. Doch auch abseits der Musik ist die Band stark sozial engagiert und hat sich ebenso den Tierschutz auf ihre Fahnen geschrieben.

"Aaj" startet mit zauberhaften Flötenklängen. Als die durch das Keyboard getragene Hookline einsetzt, fühlt man sich einige Sekunden lang an FALCOs "Rock Me Amadeus" erinnert, wobei bezweifelt werden darf, dass den BLOODYWOODlern der österreichische Achtziger-Megahit bekannt sein dürfte. Obwohl...wer bereits die BACKSTREET BOYS, MICHAEL JACKSON oder RICK ASTLEY gecovert hat...

Die weiblichen Gesangsparts wurden von Archy J aka THESNAKECHARMER beigesteuert. Die junge Dame ist die erste professionelle Dudelsackspielerin Indiens und wurde für ihre musikalischen Leistungen bereits vom indischen Präsidenten ausgezeichnet.

"Zanjeero Se" präsentiert sich etwas gemäßigter und zeigt, dass BLOODYWOOD auch in Punkto große Melodien und Emotionen ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Im folgenden "Machi Bhasad" geht es dann wieder brachialer zur Sache, allerdings nicht weniger folkig. Gleich zu Beginn des Stückes ertönen die allen Bollywood Liebhabern bestens vertrauten Klänge der Dhol, der zweifelligen Röhrentrommel, die vor allem in der Bhangra-Musik aus dem Punjab (indischer Bundesstaat im Norden des Landes an der Grenze zu Pakistan) verwendet wird. Und diese folkloristischen Perkussion-Parts erinnern einmal mehr an die Musik der Songs aus den großen Bollywood-Streifen.

"Dana-Dan" gibt sich musikalisch und gesangstechnisch vollkommen durchgedreht, verrückt und auch sehr zornig. Kein Wunder, geht es im Text doch um sexuellen Missbrauch und Vergewaltigungen von Mädchen und Frauen, die in Indien leider (immer noch) an der Tagesordnung sind. Und es ist gut und mutig, dass die beiden Sänger diese Missstände unverblümt anprangern und mehr als deutlich ihre Abscheu gegenüber den Tätern zum Ausdruck bringen.

In "Jee-Veerey" beruhigen sich die Gemüter, und auch der Hörerschaft bietet sich die Möglichkeit, wieder etwas runterzukommen. Einmal mehr lebt die Nummer von Karans virtuosem Flötenspiel. Die Rap-Shouts von Raoul wirken in den Strophen richtiggehend melancholisch, was hervorragend zum in den Lyrics verarbeiteten Thema um psychische Erkrankungen und den Kampf gegen innere Dämonen passt. Doch wenn das Stück im Chorus dann durch Jayants Gesang einiges an Intensität zulegt, kann man die wichtigste Botschaft des Textes förmlich spüren: Gib niemals auf! [Am Ende des Videos zu "Jee-Veerey" bietet Karan allen Zusehern, die unter Depressionen leiden, Hilfe in Form von Therapie-Sitzungen an. Anm. d. Verf.]

Auch in "Endurant", dem einzigen komplett in Englisch gehaltenen Track, widmen BLOODYWOOD sich ebenfalls einem ernsten Thema. Es geht um Mobbing – in der Schule, am Arbeitsplatz oder auch in der Beziehung. Die aggressiven Gesangsparts repräsentieren die Problematik eindringlich, während die instrumentalen Abschnitte mit ihrer fast fröhlichen Melodie dazu in einem äußerst starken Kontrast stehen.

"Yaad" entfaltet im Verlauf des Songs eine unglaublich epische Breite und emotionale Tiefe – sowohl musikalisch als auch lyrisch. Denn es geht (fernab der Bollywood-Leinwand-Schmachtfetzen) um bedingungslose Liebe, die auch über den Tod hinaus reicht, um die Lücke, die der Verlust von geliebten Menschen bei den Hinterbliebenen in ihr Leben reißt. Das beeindruckende Video bietet im Schlussteil einen Einblick in das Tierschutz-Engagement von BLOODYWOOD.

In "BSDK.exe" als Anti-Propaganda-Song dominieren noch einmal Aggression und Wut. Dann folgt der Album-Closer. Und präsentiert sich zum Abschluss ein weiteres Mal folkig groovend, mit donnernden Drums, während die Melodie mächtig traditionell daherkommt. Neben der Dhol hat hier (wie schon bei einigen Tracks im Verlauf des Albums) die hierzulande 'Spießlaute' genannte Tumbi, ein einsaitiges Zupfinstrument, erneut ihren großen Auftritt. Das Zusammenspiel von Dhol und Tumbi ergibt diesen einzigartigen unverwechselbaren Bhangra-Sound, der so typisch für die folkloristische indische Musik ist. Alles in allem kann man "Chakh Le" als die perfekte musikalische Symbiose aus Moderne und Tradition bezeichnen, zwei eigentliche Gegensätze, die in dem Stück allerdings vollkommen harmonisch und ohne jeden Widerspruch miteinander verschmelzen. Und somit etabliert sich "Chakh Le" als hervorragender Schlusspunkt eines mehr als gelungenen Debüts.

 

Fazit:

"Rakshak" ist der erhoffte große Knall geworden. BLOODYWOOD haben bis zur Veröffentlichung ihres Erstwerkes von der Pike auf eine unglaubliche, hundertprozentige Selfmade-Bilderbuchkarriere hingelegt. Gestartet mit Metal-Cover- Videos von bekannten Bollywood Songs und westlichen Pop-Hits, hat das Sextett aus Neu-Delhi stets seinen Traum gelebt und selbstbewusst und konsequent die gesteckten Ziele verfolgt. Bis heute läuft bei BLOODYWOOD alles nach dem Do-It-Yourself-Prinzip – auch das Debüt-Album wurde in Eigenregie released. Allein dafür gebührt den sechs jungen Wilden schon mal eine riesige Portion Respekt, zumal die Voraussetzungen für Metalbands in Indien nicht mit den westlichen Möglichkeiten zu vergleichen sind.

Trotzdem, oder vielleicht auch ein wenig gerade deshalb haben BLOODYWOOD umso härter gekämpft und so schlussendlich ihre Ziele auch erreicht. Dazu kommt, dass auch auf der musikalischen Seite alle Signale auf Grün stehen. BLOODYWOOD haben mit "Rakshak" granatenmäßig abgeliefert und beweisen damit überdeutlich: Diese Band braucht keinen Exotenbonus! Bleibt zu hoffen, dass die (zurecht) vielen durchweg positiven Reaktionen von Kritik und Presse zum Debüt auch einen nachhaltigen Effekt für die weitere Entwicklung der Band haben werden. Denn das haben sich BLOODYWOOD redlich verdient.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Ernst Lustig (28.02.2022)

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