MESHUGGAH - Immutable

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VÖ: 01.04.2022
Bandinfo: MESHUGGAH
Genre: Metal
Label: Atomic Fire Records
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Lineup  |  Trackliste

Das aktuelle Album einer der Altvorderen des skandinavischen progressive Metals liegt auf meinem digitalen Schreibtisch. Es ist der neunte Streich von MESHUGGAH mit „Immutable“.  Gespannt, geladen und mit einer gewissen Ehrfurcht huschte die Kunststoff-Maus über die geölte Buche. Immerhin existiert diese Band seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten und davor befuhr man unter anderer Flagge bzw. Bandnamen die Meere der bekannten Welt. Eine Institution, Trendsetter allemal, längst in den heiligen Hallen des Metals aufgenommene Jünger.  

Der Opener „Broken Cog“ beginnt mit einem Brachial-Riff, dezente Gitarre setzen ein, der Gesang schmiegt sich etwas vorsichtig, zurückhaltend an diese Bredouille. Seit je liegt viel Grazilität, Komplexität, Vielschichtigkeit in der Musik von MESHUGGAH. „Broken Cog“ ist der kleinste gemeinsame Nenner, wofür MESHUGGAH sozusagen ein Markenzeichen darstellt. Eine Verquickung von erhabener Rohheit und diffiziler Verletzlichkeit, ja, Reinheit des musikalischen Augenblicks. Es sei angemerkt, dass noch nicht zu eruieren ist, wohin die Band mit diesem Lied will, allerdings warten 12 weitere Tracks, um sich Gehör zu verschaffen.

The Abysmal Eye“: Dreht das Zahnrad ein wenig weiter, vor allem der Gesang verweist darauf, wo der Baldur den Met herholt. Statische Schwer, die ab und an überlagert wird, Djent as unusual. Zugegeben, ein großes Lied, wobei ich wieder auf die Grazilität verweise, die dieser brachialen Vehemenz innewohnt. Ein Kritikpunkt, sofern er überhaupt einer ist, sei erlaubt: Warum zum Schmiedl gehen, wenn man zum Schmied gehen kann? Ist es nicht so, dass MESHUGGAH zwar sozusagen Marktführer auf dem Sektor des Brachial-Progs „Made in Sweden“ ist, allerdings andere Bands gerade aus skandinavischen Gefilden, etwa VILDHJARTA, die Nischen, die MESHUGGAH ohne Zweifel schufen, besetzten und das letzte Quäntchen an schräger, vertrackter, abgespacter Harmonien aus dem nordischen Prog rausholten? Damit ist die Krux der Sache determiniert. Man kann zum Schmiedl gehen, weil der mittlerweile ebenfalls feinste Klingen herzustellen weiß. Einen Ohrenschlackerer der Sonderklasse vermag einem MESHUGGAH wie eh und je zu verpassen, hören sie selbst geschätzte Leser*innen:



Mit „Light The Shortening Fuse“ wird der Duktus weitergeführt. Rhythmisch befinden wir uns wie eh immer bei MESHUGGAH jenseits der 4/4-Takt-Schemata.

Phantoms“: Hier ist wie bei VILDHJARTA auf diese verwegene Bending-Technik zu verweisen, die hier durch den Bass determiniert wird, bzw. die Schmiedl-Schmid-Geschichte, Djent hin oder her.

Ligature Marks“: Grundsätzlich halte ich diesen Brachial-Prog tiefergestimmter Saiten-Instrumente, vor allem, wenn er in dieser Qualität über den Äther gejagt wird, für gewinnbringend, allerdings sind wir beim fünften Liedchen angekommen und es wäre langsam an der Zeit, andere Gefilde zu umschiffen. Eisschollen voraus, Eisbrecher einsatzbereit geht eine Weile gut, bringt aber das Eis nicht zum Schmelzen.

God He Sees In Mirrors“: Okay, bei diesem Lied sind wir endgültig dort angelangt, wo nicht mehr die Reise das Ziel ist. Dimebag Darrel hätte seine Freude mit diesen Riffs gehabt, allerdings befinden wir uns auf dem geographischen Nordpol, mit anderen Worten: Ende Gelände.

They Move Below“: Ist genau das Gegenteil des Liedtitels. Luftig, leichte Melodien entstehen, als würden abgeregnete Wolken über schneebedeckte Eisfelder gleiten. Moment: Ab etwa Minute 2:30 kollidieren Untergrund und Horizont, ein komplexes Gemenge aus allen Aggregatzuständen entsteht, ein verflochtenes, instrumentales Ungetüm in 9:53 Minuten als würde ein/e Wassermagier/in  Übungen exerzieren.

Kaleidoscope“: Nein, kein Kaleidoskop, jedenfalls kein musikalisches. Geradezu ernüchternd, denn kompositorisch wird hier kein Neuland erschlossen.
Kleines Detail am Rande: Der Geologe Mats E. Eriksson benannte die unlängst erschlossene Spezies eines Fossilfundes „Muldaster haakei“ nach dem Drummer von MESHUGGAH Tomas Haake. Auf die umfassende Frontaerfahrung dieser Haudegen dürfte dies nicht schließen lassen, oder?

Black Cathedral“, „I Am That Thirst“ und „The Faultless“ schlagen in dieselbe Kerbe, wobei bei „The Faultless“ womöglich anzumerken wäre, dass der Rhythmus von den Gitarren determiniert, die Melodie durch den Bass und das Schlagzeug zur Unterstützung von letztgenanntem Instrument ausgerückt ist.

Armies oft the Preposterous“: Nomen est omen, passt der Song-Titel zum Jahre des Herren 2022. Rhythmus-Salven aus schweren Geschützen malträtieren das Fleisch. Wo diese Sprengsätze detonieren, wächst vorerst kein Gras mehr.

Past Tense“: Klingt wie ein instrumentaler verklärter Rückblick, wobei Altersmilde kickt. Leider tut dieser Finale nichts zur Sache, weil es austauschbar ist.

Fazit: Wer wäre ich denn, MESHUGGAH schlecht bewerten zu wollen. Sakrileg. Grundsätzlich ist die Band ein Naturereignis, ein mächtiger Vulkan, dem Opfer dargebracht werden, um ihn zu besänftigen.  Eyjafjallajökull oder so. Feuer und Eis. Womöglich waren die Opfergaben zu zahlreich, zu üppig, denn der Höllenschlund rumort ab und an, ansonsten erinnert das Album eher an einen schlafenden, tieftönig schnarchenden Riesen, der nicht geweckt werden will und damit ist der Album Titel "Immutable" Programm, sozusagen die Ästhetik, das Verweilen des Seins.

 



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Richard Kölldorfer (25.03.2022)

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