WE CAME AS ROMANS - Darkbloom

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VÖ: 14.10.2022
Bandinfo: WE CAME AS ROMANS
Genre: Post Hardcore
Label: Sharptone Records
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Lineup  |  Trackliste

Flashback: Juli 2013. WE CAME AS ROMANS haben gerade ihr drittes Album "Tracing Back Roots" veröffentlicht und sind momentan so ziemlich der heißeste Scheiß in Sachen Post Hardcore/Metalcore weltweit.

Sprung in den August des gleichen Jahres: Ich erinnere mich noch so, als wäre es erst gestern gewesen. Summer Breeze Open Air, 15. August, 16:55 Uhr, Painstage. Ein Intro ertönt, dann entern die Jungspunde aus Michigan die Bühne und ballern dem Auditorium mit 200 Prozent Selbstbewusstsein als Opener gleich mal ihre brandneue Überhit-Single "Hope" um die Ohren. In der Mitte des Songs steht Sänger Kyle Pavone dann plötzlich ÜBER dem Publikum und performt den Rest des Stückes, während er von den Fans buchstäblich auf Händen getragen wird. Ein Moment, der sich für immer unauslöschlich in mein Gehirn eingebrannt hat und noch bis heute ungemein intensiv nachwirkt (ähnlich wie der Crowdsurfing-Ausflug von Mikael Stanne von DARK TRANQUILITY, als dieser beim SBOA 2017 vom Publikum bis zum FOA-Turm und zurückgetragen wurde).

Schnitt: August 2018. Fassungslos nimmt die Metalcore-Welt zur Kenntnis, dass Kyle Pavone nicht mehr unter uns ist. Tod durch versehentliche Überdosis. Kyle, du fehlst! Bis heute und für immer!

Zeitsprung ins Hier und Jetzt: Herbst 2022. WE CAME AS ROMANS veröffentlichen das erste vollwertige Studioalbum seit Kyles Tod. "Darkbloom" heißt die aktuelle Scheibe, die den sechste Full Length Dreher von WCAR markiert, fünf Jahre nach "Cold War". Die Band hatte klargestellt, dass Kyle nicht zu ersetzen ist und somit kein neuer zweiter Sänger seinen Platz einnehmen wird. Demzufolge wurde "Darkbloom" als Quintett mit der seit 2005 konstanten "Urbesetzung" aufgenommen. Lediglich am Schlagzeug gab es 2007 einen Wechsel als David Puckett für Eric Choi zu den Römern stieß.

Vor der Besprechung der neuen Langrille noch ein kurzer Blick auf die bisherigen Veröffentlichungen der "Troy"-Boys:

2009 erschien das vielbeachtete Debüt "To Plant A Seed" eine dynamische Mischung Post Hardcore und Transcore, die sich durch eingängige Melodien und hervorragenden Wechselgesang von Davids Shouts und Kyles Clean Vocals auszeichnete. Trotz aller Catchiness enthielt das Erstwerk aber auch die notwendige Härte, um nicht in poppige Gefilde abzudriften. Zwei Jahren später folgte der Nachfolger mit dem etwas sperrigen Namen "Understanding What We've Grown To Be", der den eingeschlagenen Weg des Sextetts unbeirrt fortsetzte und in allen Belangen nochmals eine Schippe drauflegen konnte. Großartige Stücke wie "The King Of Silence", "Mis/Understanding", "Views That Never Cease, To Keep Me From Myself" oder der Titeltrack sind mittlerweile unsterbliche Hymnen, auch wenn das Album eigentlich nur Hits enthält. 2013 schließlich veröffentlichten WE CAME AS ROMANS ihr bisheriges Opus Magnus "Tracing Back Roots". "Fade Away", "I Survive", "Ghosts", "I Will Never Let You Go", "A Moment", "I Am Free" – ein Highlight jagt hier das nächste, doch alles wird letztlich überstrahlt vom Übersong "Hope", für mich bis heute einer der fünf besten Core-Songs der 2010er Jahre.

Das schlicht "We Came As Romans" betitelte vierte Langwerk spaltete 2015 sowohl Fans als auch die Presse. "...viel zu soft...", "...langweilig...", "...ohne Wiedererkennungswert...", "...seelenlos..." oder "...schlichtweg ganz, ganz schlechte Musik..." lauteten die negativen Kritiken. Natürlich ist Musik immer Geschmackssache. Doch in diesem Fall werden die ganzen Abwertungen dem Album nicht gerecht, zumal WCAR auch zu Beginn ihrer Karriere nicht gerade als die Vorreiter von Brutalität und Aggressivität in Bezug auf ihre Musik bekannt gewesen sind. "We Came As Romans" unterscheidet sich zwar von seinen Vorgängern und erreicht auch das Level von "Understanding What We've Grown To Be" und "Tracing Back Roots" nicht (ganz). Nichtsdestotrotz enthält der Silberling mit "Blur", "Defiance", "Memories", "The World I Used To Know" und "Who Will Pray" genügend großartiges Material, um sich locker von 95 % der Mitbewerber abzuheben. Auch das vielgescholtene "Saviour Of The Week" ist in den Augen des Rezensenten ein absolutes Highlight, vergleichbar mit dem grandiosen, ebenfalls komplett stromgitarrenbefreiten "Let Me Be" von ESCAPE THE FATE.

Das letzte Album, auf dem Kyle als Sänger zu hören war, erschien 2017. "Cold War" startet mit einer Menge Wut im Bauch, ehe im weiteren Verlauf auch wieder vermehrt entspanntere Klänge zu hören sind. Der fünfte WCAR-Longplayer klingt erwachsener, gesetzter, bietet neben zeitgemäßen Sounds aber auch immer wieder Ausflüge in die musikalische Vergangenheit. Der Titeltrack, "Two Hands", "Lost In The Moment", "Wasted Age", "If There's Nothing To See", "Learning To Survive" – auch auf "Cold War" ist die Liste der Hochkaräter alles andere als kurz. 

Die Zeichen standen gut, für den weiteren Weg von WE CAME AS ROMANS, als die Band, wie oben beschrieben, dieser unfassbare Schicksalsschlag ereilte. Anfangs sah es so aus, als würde Kyles Tod das Ende von WCAR bedeuten. Aber die Band entschied sich gegen eine Auflösung, ging weiter auf Tour und gründete die "Kyle Pavone Foundation", eine Anlaufstelle für Musiker mit Drogenproblemen. Dann gab es 2020 ein erstes neues musikalisches Lebenszeichen in Form der Single "Carry The Weight". Zwei Jahre später liegt nun der sechste Langrillen-Release des Core-Quintetts vor. "Darkbloom" ist von der ersten bis zur letzten Note hör- und spürbar gefüllt mit dem Andenken an den zu früh gegangenen Freund, wie Gitarrist Josh Moore überdeutlich erklärte: "...Diese Platte ist Kyle gewidmet – wir werden dich nie vergessen und wir werden nie aufhören, deinen Namen zu sagen." Dementsprechend emotional und persönlich sind auch die Texte des Albums ausgefallen.

Bereits im Opener lässt sich konstatieren, dass David in Sachen Klargesang deutlich zugelegt hat. Natürlich ist er nicht Kyle. Aber seine Clean Vocals können auf ganzer Linie überzeugen. Keine einfache Übung, bei den großen Fußstapfen, die Mr. Pavone hinterlassen hat. Unabhängig vom Gesang ist der Titeltrack eine wuchtige Mischung aus Elektronik und Metalcore, die die Trancecore-Herkunft von WE CAME AS ROMANS verdeutlicht. Ein gesundes Maß an Härte und einige fette Breakdows bieten den notwendigen Kontrast zum eingängigen Chorus. Toller Start!

"Plagued" startet explosiv, ehe der Gesang in der Strophe erst mal die Härte herausnimmt. Dafür ist der Refrain trotz seiner Melodie eine angenehme Aggressivität. Der Groove animiert zum Hüpfen und Springen, somit dürfte die Nummer live einen Publikumsliebling darstellen.

"Black Hole" ist Trancecore pur. Die Nummer lebt von Daves intensiv-emotionalem Gesang, egal ob clean oder als Shouts. Unterstützt wird er dabei von BEARTOOTH Frontmann Caleb Shomo. Die Lyrics sind düster, depressiv und voller Hoffnungslosigkeit, und die Musik passt sich der textlichen Stimmung an. Trotzdem, oder gerade deswegen ist "Black Hole" ein echter Hammersong.

Nicht weniger brutal ist "Daggers". Doch textlich kanalisiert sich hier die aufgestaute Wut, um sich schlussendlich zu entladen und in einen (seelischen) Befreiungsschlag zu münden. Im vokalen Bereich wird David von Hiphop-Newcomer ZERO 9:36 unterstützt, der in der Mitte des Songs einen Highspeed-Rap hinlegt, der sich gewaschen hat. "Daggers" ist ein fetter Brocken und neben "Doublespeak" der härteste Track auf "Darkbloom".

Danach bietet "Golden" einen starken Kontrast und lässt die Anspannung, die "Daggers" aufgetürmt hat, um einiges abflauen. In den Strophen relativ ruhig gehalten, fasziniert der unwiderstehliche catchy Singalong-Chorus, der in einer Reihe mit vielen unvergesslichen vergangenen Refrains-Highlights steht.

Auch wenn sich das gesamte Album mit der Aufarbeitung der Trauer um Kyles Todes beschäftigt, es gibt einige Stücke, die lyrisch direkten Bezug darauf nehmen. So wie die unfassbar emotionale Ballade "One More Day". Textpassagen wie "...Ich dachte immer, dass wir mehr Zeit haben würden. In einem Wimpernschlag wurde uns die Welt genommen. Ich wäre mit dir durch deine Hölle gegangen, wenn du mich darum gebeten hättest, um deine Dämonen zu bekämpfen. Aber tiefer und tiefer, hast du sich wieder verloren...", verdeutlichen eindringlich, wie sehr die Band mit ihrem Verlust zu kämpfen hat(te). Für mich persönlich ist "One More Day" eins der absoluten Highlights des Albums.

Es folgt "Doublespeak", der komplette Gegensatz zum vorangegangenen Stück. Eine angepisste aggressive Nummer, die sich in die Gehörgänge prügelt und klarstellt, dass WE CAME AS ROMANS alles andere als mittlerweile im Pop angekommene Weichspüler sind. Harte Riffs, knackige Breakdowns und eine gehörige Portion Brutalität machen "Doublespeak" zum fiesen Zwilling von "Daggers".

"The Anchor" ist die zurückhaltendste nichtballadeske Nummer auf "Darkbloom". Das Stück setzt sich textlich intensiv mit der Lücke im Leben der Freunde auseinander, die Kyles Tod gerissen hat. Und auch wenn "The Anchor" mit viel Melodie und sehr eingängig daherkommt, verdeutlicht der schreigesungene Chorus vom Schmerz und der Ausweglosigkeit, mit der jedes einzelne Bandmitglied in den letzten vier Jahren zu kämpfen hatte.

Der vorletzte Track der neuen Scheibe ist musikalisch gesehen ein vor Catchiness und Eingängigkeit geradezu überlaufendes Stück, ein echter Hit mit 100%igem Radio-Airplay-Potential. Nichtsdestotrotz sind die Lyrics alles andere als happy. Textlich verarbeiten WE CAME AS ROMANS hier vielmehr ihren Kampf, wieder auf die Beine zu kommen und sich nicht auf- und der Trauer hinzugeben.

Im Albumcloser wird es dann noch einmal höchst emotional. Schaut man sich das mit visuellen Erinnerungen an Kyle vollgepackte Video zum Song an, jagt eine Gänsehaut die andere, und es ist keine Schande, wenn der Blick sich zunehmend mit Tränen verschleiert. "Promise You" ist ein zerbrechlicher, ergreifender Gedächtnis-Song für Kyle, eine Liebeserklärung an den schmerzlich vermissten Freund, der die letzten Tage und Stunden beschreibt, als Kyle im Koma lag und nur noch von Maschinen am Leben erhalten wurde sowie. Und, wie der Name schon sagt, "Promise You" ist ein Versprechen: "And I promise you, I will never stop saying your name".  Damit schließt sich der Kreis zu den eingangs erwähnten Worten von Gitarrist Josh: "...wir werden dich nie vergessen und wir werden nie aufhören, deinen Namen zu sagen."

Fazit:

Nach dem tragischen Tod von Kyle standen WE CAME AS ROMANS vor der schweren Entscheidung, die Band entweder zu Grabe zu tragen oder weiterzumachen, getreu dem Motto "Grow or Die". Und niemand hätte es den Römern verübelt, wenn sie WCAR zusammen mit ihrem Freund und Sänger beerdigt hätten. Doch die Fünf entschieden sich für den (sicher schwereren) Weg, nicht aufzugeben und Kyles Tod und den damit verbundenen Schwerz und die gerissenen Wunden musikalisch und textlich zu verarbeiten. Das allein ist schon aller Ehren wert.

Doch dass diese Aufarbeitung ein dermaßen in allen Belangen überzeugendes Comeback-Album zutage fördern würde, hat wohl niemand so recht erwartet. "Darkbloom" ist ein bockstarker Longplayer geworden, denn die Trauer, die Wut, die Hoffnungslosigkeit der Bandmitglieder waren eine gewaltige Triebfeder, die WE CAME AS ROMANS hervorragend zu kanalisieren wussten als sie ihre persönlichsten Erfahrungen der letzten Jahre in zehn großartige Songs gegossen haben. Die Römer sind zurück und das stärker denn je!



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Ernst Lustig (17.11.2022)

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