BLODTÅR - Det Förtegna Förflutna

BLODTÅR – eine zweiköpfige Black-Metal-Band aus Stockholm mit einer EP, einem Album und (Stand 18. Juni 2023) 445 Facebook-Followern, zählt unbezweifelbar zur Kategorie "Undergroundbands, die kein Schwein kennt". Und der Legende (d.h. dem Promo-Begleitschein) nach hat sich eben jene Band für die Bewerbung ihres Debütalbums "Det Förtegna Förflutna" an ein einziges Label – Nordvis Produktion – gewandt. Ich sehe die Diskussion im Proberaum regelrecht vor meinem inneren Auge: Drummer Herbert so auf Bandkopf Carls Vorschlag hin "Dieser Plan ist verrückt, durchgeknallt und total bescheuert!", und Carl darauf dann: "…und genau deswegen könnte er vielleicht funktionieren!"

Und er sollte Recht behalten. Warum? Entweder jemand kannte jemanden, der jemanden kennt (…so wird bei uns im Saarland so ziemlich alles geregelt…) oder die vorgelegten Klänge wurden mit entsprechendem Nachdruck und eventuellem Kampieren vor den Toren der Nordvis-Zentrale feilgeboten und konnten aus dem Stand überzeugen. Ich tippe auf Zweiteres, denn besagtes "Det Förtegna Förflutna" ist wahrhaftig ein Fest für die Ohren und ein echter Geheimtipp. Die im Folk Black Metal beheimatete Band strebt danach, die Gefühle und Eindrücke zu transportieren, die die Kunstwerke von John Bauer und Theodor Kittelsen hervorrufen. Und wenn man besagte Künstler recherchiert, findet man allerhand naturromantische Gemälde – Wälder, Waldbewohner natürlichen und mystischen Ursprungs, ungemütliche Wetterlagen, usw. usf. – oder etwas anachronistisch formuliert: ein altertümliches Artwork-Archiv für wald-affine Black-Metal-Bands. Der belesene Hörer wird in Kittelsens Werken ferner die Vorlagen für diverse Artworks einer bestimmten Ein-Mann-Kapelle, deren Name (u.a. in sozialen Medien) nicht genannt werden darf, vorfinden.

Musikalisch bietet sich ein überwiegend schwedisches, von ortsansässiger Folklore geprägtes Melodiespiel, aus dessen Mitte sich neben vereinzelten GORGOROTH-, MARDUK-, (Alt-)SATYRICON- und DISSECTION-Reminiszenzen insbesondere eine übermächtige Parallele hervortut: die unlängst heiliggesprochenen WINDIR aus dem benachbarten Norwegen. Schon der Opener "En Krona Av Is" eröffnet mit fesselnden Melodien singender Gitarren, die so nur wenige, wenn nicht sogar nur diese eine Band ihr Eigen nennen konnten…und hat sich die Gunst des Verfassers damit in Windeseile erspielt. Das innere Ohr reist unweigerlich zurück nach 1997 und dem Debüt-Album "Sóknardalr", das Visionär Valfar dieser Zeit noch so weitgehend alleine erschaffen hat. "Den Fördärvande Sorgbundenheten" geht mit seinen majestätischen Melodien, Akustikparts und cleanen Chören mehr in Richtung der späteren Alben bis hin zu der nach Valfars tragischem Ableben gegründeten Band VREID. Im Kontrast dazu bietet "Uttala Dess Namn" mehr vom ruppigen Flair der erwähnten GORGOROTH und Wirbelsturm-Attacken in feinster MARDUK-Manier, denen man sich als Szenegänger nur schwerlich entziehen kann.

Zugegeben, ein Großteil meiner Albumbesprechung fußt aber der Benennung stilistischer Kongruenzen, die oft und gerade im Falle WINDIRs sehr offensichtlich sind. Aber trotz dieser Parallelen wirkt bei BLODTÅR nichts abgekupfert – es klingt ähnlich, aber niemals kopiert, geklaut oder lizenzfrei geborgt. Obendrein haben sich die Herrschaften von Produzenten Sverker Widgren einen sehr authentischen und bodenständigen Sound zusammenmischen lassen, der den Spirit des späteren Neunziger- und frühen Zweitausender-Black-Metal sehr gut einfängt und transportiert. Dies in Verbindung mit einem vierzigminütigen Hitfeuerwerk, das sich nicht einen Fehltritt leistet und von der ersten bis zur letzten Note begeistert, ringt mir trotz des vorprogrammierten Konflikts bei der Bewertung späterer Releases die zweithöchste Note ab, und das ohne Wenn und Aber! Absoluter Geheimtipp!

Zitat BLODTÅR zu den Hintergründen des Albums:

"Der Titel des Albums drückt meinen Wunsch aus, ein kulturelles Erbe zu beleuchten, das wir in Skandinavien immer noch haben, aber mehr und mehr zu vernachlässigen scheinen. "Det Förtegna Förflutna" besteht aus Liedern, die in gewisser Weise durch Themen wie nordische Folklore, Wälder, Berge und mythologische Wesen miteinander verbunden sind. Jede Komposition erzählt eine andere Geschichte, ähnlich wie alte skandinavische Märchen (die oft von Künstlern wie John Bauer illustriert wurden)."