Avantasia - The Wicked Symphony

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VÖ: 03.04.2010
Bandinfo: AVANTASIA
Genre: Power Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Wieder einmal naht mit dem 3. April 2010 ein Datum, das bereits seit Monaten in dickstem Rot im Kalender angestrichen ist: Denn erneut schickt sich EDGUY-Mastermind und Fronter TOBIAS SAMMET an, mit seinem mittlerweile regelrecht legendären AVANTASIA-Projekt eine neue Rockoper unter höchst prominenter internationaler Beteiligung zu veröffentlichen. Und was anno dazumal noch als "kleine" Metal-Oper auf AFM begann, das wurde spätestens mit "The Scarecrow" 2008 im großen Stile auf Nuclear Blast mit Gaststars wie Jorn Lande, Michael Kiske, Roy Khan und nicht zuletzt Alice Cooper fortgesetzt. Und es ist auch genau diese Saga, die mit der genannten Vogelscheuche begann, die in Form des totalen Rundumschlags dieser Tage von Tobi Sammet mit "The Wicked Symphony" und "Angel of Babylon" ihren Abschluss findet. In Punkto Storyline liegt aber die Irrsinns-Sinfonie vor dem babylonischen Engel, und darum wollen wir uns auch zunächst diesem Teil des Doppel-Releases zuwenden.

Los geht Teil Eins der Trilogien-Conclusio nämlich (ebenso wie "Angel Of Babylon", aber dazu an anderer Stelle mehr) mit einem Track in Überlänge, und zwar gleich dem Titeltrack "The Wicked Symphony" - und der hat es wirklich in sich. Auch hier geht Tobias Sammet gleich mal in die Vollen, und lässt neben seiner eigenen Goldkehle auch noch jene der Göttersänger Jorn Lande und Russell Allen sowie Oliver Hartmann erklingen. Im Vergleich zum ähnlich langen Opener von "Angel Of Babylon" unter gleicher Starbeteiligung ist aber "The Wicked Symphony" der weitaus interessantere und zwingendere Track geworden - die einzelnen Passagen der Gastsänger passen besser ins Gesamtgefüge, auch kann mich der Refrain deutlich mehr überzeugen, und insgesamt wirkt die Nummer keinesfalls zu lang - was bei "Stargazers" auf dem Parallelalbum doch ein wenig der Fall ist. Jedenfalls gleich mal ein bombastischer und wunderbar einstimmender Einstieg in die beiden neuesten AVANTASIA-Releases, der uns in freudiger Erwartung der Dinge, die da noch kommen mögen, harren lässt.

Und nach diesem im wahrsten Sinne des Wortes symphonischen Einstieg legt Großmeister Sammet auch gleich nochmal nach, und zwar mit einer klassischen EDGUY-Uptempo Nummer: Hier wird die "Return To The Tribe"-Blaupause ausgepackt (wahlweise kann auch gerne "Beyond The Black Hole" von GAMMA RAY konsultiert werden!), und dann lässt man einfach Michael Kiske den high-pitch-Refrain intonieren, und schon hat man mit "Wastelands" eine wunderbare Speed-Granate, wie sie EDGUY- und AVANTASIA-Fans der früheren Werke sicher dankbar goutieren werden!

Ein heimliches Highlight des Albums erwartet uns dann mit dem von Tim "Ripper" Owens veredelten "Scales Of Justice", dass als wirklich heftiger Metal-Track anhebt, und klingt, als wäre sie dem ehemaligen JUDAS PRIEST-Fronter auf den Leib gezimmert worden. Hier beweist Tobi Sammet wirklich hervorragendes Fingerspitzengefühl bei der Sängerauswahl, und Herr Owens liefert natürlich eine gewohnt hochklassige Performance ab. Etwas befremdlich ist dann der leicht weichgespülte Mittelteil, der einen doch recht starken Kontrast zu der Härte des restlichen Songs darstellt, der aber dank des starken Chorus und der sensationellen Gesangsleistung des "Ripper" problemlos verschmerzt werden kann.

Beinahe Kultstatus genießt ja schon jetzt die erste Singleauskopplung "Dying For An Angel", bei dem sich Tobias Sammet niemand Geringeren als einen der ersten deutschen Rock-Giganten überhaupt in Gestalt von SCORPIONS-Fronter Klaus Meine als Duettpartner ins Boot geholt hat; und ganz standesgemäß für einen Herrn Meine kommt der Track dann auch als amtlicher Rocker im Achtziger-Stil daher, und sowohl Tobias Sammet als auch Klaus Meine geben sich keine Blöße, und schmettern den Song hin, als hätten sie nie etwas Anderes gemacht. Und genau genommen haben sie ja auch noch nie was Anderes gemacht; und das ist auch verdammt nochmal gut so!

Mit "Blizzard On A Broken Mirror" präsentiert dann das neue AVANTASIA-Album eine etwas andere Nummer, die eine interessante Symbiose aus leicht progressivem Rock mit Musical-Einlagen darstellt, ein wenig Reminiszenzen an IRON MAIDENs famoses "Brave New World" aufkommen lässt, und bei mir beim ersten Hören gar nicht so richtig zünden wollte, nach mehrmaliger Rotation aber definitiv ihren Weg in meinen Gehörgang gefräst hat und mittlerweile durchaus zu gefallen weiß. Wohl nicht unbedingt eines der absoluten Highlights der beiden neuen Scheiben aus dem Hause Sammet, aber auch keineswegs ein Kandidat für die "Skip"-Taste.

Weiter geht es im Programm dann mit einem der für mich schönsten Momente der beiden neuen Scheiben, nämlich mit "Runaway Train". Was als stille Ballade mit fantastischem (cleanen!) Gesang von Jorn Lande anhebt, das mutiert im Laufe der folgenden 8 Minuten und 41 Sekunden zu einem epischen, sehr musical-lastigen Song (wozu auch die Beteiligung von Bob Catley, dessen Organ ja eigens für solche Stücke geschmiedet wurde, massiv beiträgt), der auch einem MEAT LOAF absolut zur Ehre gereichen würde und so auch gewisse Parallelen zu dem famosen "The Seven Angels" von Teil Zwei der ursprünglichen Metal Opera erkennen lässt. Hier passt einfach das gesamte Arrangement rundherum, und auch bei dieser Nummer wirkt die Überlänge zu keinem Zeitpunkt störend. Sicher ein etwas anderer Song, aber definitiv einer der besten des diesjährigen Outputs!

Etwas anders verhält es sich da leider mit dem folgenden "Crestfallen" - ich weiß einfach nicht, was ich von dieser Nummer halten soll. Zunächst ist da mal dieses mit schlimmen Achtziger-Synthiesounds versetztes Elektro-Intro, zu dem dann zu allem Überfluss auch noch Dance-Drumsamples hinzukommen... dann aber wieder eine durchaus passable Strophe folgt... die aber dann wiederum durch einen zwar einerseits sehr mächtigen, düsteren Chor negiert wird, der nämlich (nach der mächtigen, düsteren Passage) mit höchst seltsamen Nu- oder Black-Metal-Geschrei (oder was auch immer das Zeug da darstellen soll) daherkommt, und so leider den roten Faden des Songs durchtrennt. Irgendwie wirkt der Song für mich ein wenig gekünstelt, ist nicht wirklich Fisch noch Fleisch, und muss von mir sohin als der wohl verzichtbarste Song der beiden neuen AVANTASIA-Teile bezeichnet werden. Dieser Song wird definitiv polarisieren, und bei vielen Fans der ersten Stunde wohl auch auf Unverständnis stoßen.

Aber auch "Crestfallen" ist schnell vergessen, denn Tobias Sammet legt gleich mit "Forever Is A Long Time", einem schönen Rocksong, der wieder einmal von der Überstimme des Jorn Lande lebt, und "Black Wings", einer sehr düsteren, mit sich serpentinenartig windenden Gitarrenriffs versetzten Nummer, ordentlich nach; und auch wenn diese beiden Songs vielleicht auch eher in der Kategorie "gefälliger Standard" rangieren, so sind doch beide an sich sehr gelungen, und haben sich ihren Platz auf "The Wicked Symphony" mehr als redlich verdient.

Bevor dann mit "The Edge" das Ende des ersten neuen AVANTASIA-Albums in Form einer ordentlich rockenden Halbballade ansteht, liefert Tobias Sammet noch einen - jedenfalls für mich - späten Höhepunkt in Form von "States Of Matter", bei dem endlich "mein" Russell Allen auch mal zu Höchstform auflaufen und wirklich brillieren darf (auf dem Rest des Albums stiehlt ihm Jorn Lande - wie allen anderen natürlich auch - ja regelrecht die Show), und so wird die eigentlich EDGUY-typische Uptempo-Nummer, obgleich im Vergleich zu manch anderen Songs des Albums relativ simpel gestrickt, zu einer der wiederhörenswertesten von "The Wicked Symphony".

Beinahe überraschend ist doch, dass "The Wicked Symphony" gänzlich ohne Ballade auskommt (und auch auf "Angel Of Babylon" nur eine waschechte Ballade vertreten ist), was angesichts des hohen Anteils an langsameren Songs noch auf "The Scarecrow" doch verwundert. Für den AVANTASIA-Fan der ersten Stunde ist das aber natürlich keinesfalls ein Grund zur Traurigkeit, denn seine größte Stärke hat Tobias Sammet schon immer in eingängigen, meist schnelleren Rock- und Metalsongs gehabt; und daran erinnert er sich sowohl auf "The Wicked Symphony" als auch auf "Angel of Babylon" wieder deutlicher als noch auf dem Trilogiebeginn.

Wenn man also bedenkt, dass auf dem vorliegenden "The Wicked Symphony" und "Angel Of Babylon" insgesamt 22(!) Songs allerfeinster melodischer Rock- und Metalkost zu einem einzigen, großen Gelage serviert werden, und die versammelte Servicemannschaft rund um Ober-Avantasiasten und Küchenchef Tobias Sammet dabei nichts anbrennen lässt, nichts verschüttet, und kurzum so gut wie keine Ausfälle verzeichnen muss (gut, über "Crestfallen" und vielleicht auch über "Symphony Of Life" von "Angel of Babylon" wird sicher diskutiert werden), dann spricht das wahrlich Bände über die mittlerweile zu wirklich beeindruckenden Höhen gereiften Songwriting-Fähigkeiten des Fuldaer Sängers und Komponisten, der mittlerweile auch schon beinahe 15 Jahre im Rock- und Metalgeschäft unterwegs ist; und das so erfolgreich wie kaum ein Zweiter.

Auf Grund der erwähnten etwas schwächeren Tracks ist auch hier eine absolute Höchstnote für mich nicht ganz drinnen (man kratzt aber mehr als nur ein bisschen daran!!!); und gemeinsam sind die beiden Alben dieses Doppel-Releases definitiv verdammt nahe am absolut "perfekten" Rock/Metal-Album dran, und lassen die teils doch heftig kritisierte Vorgängerscheibe "The Scarecrow" aber um etliche Galaxien hinter sich! Mit diesen beiden Scheiben setzt sich Tobias Sammet definitiv ein (weiteres) musikalisches Denkmal (und vielleicht wirds ja dann doch noch was mit der überlebensgroßen Statue in dem einen oder anderen Städtchen, wie unlängst auf der Sammet'schen Website vorgeschlagen)!

Mit anderen Worten: Möchte man jemandem, der noch wenig bis gar nichts mit Rock oder melodischem Metal zu tun hatte, in die wunderbaren Weiten dieses Genres einführen und demjenigen zeigen, "wie sich guter melodischer Metal im Jahre 2010 anhört", dann braucht man eigentlich nichts Anderes zu tun, als einfach das neue AVANTASIA-Doppelpack (möglichst noch in der schönen Limited Edition mit Booklet und Box) im Laden zu suchen, und den glücklichen Neuling mit den beiden Scheiben ein paar Tage ins (dann nicht mehr ganz so) stille Kämmerlein einzusperren, und ihn seiner zweifelsfrei eintretenden Epiphanie zu überlassen. Denn hier - genauso wie auf "Angel Of Babylon" - ist definitiv für jeden Geschmack etwas dabei; Tobias Sammet liefert mit seinen beiden neuen Silberlingen mit Sicherheit die abwechslungsreichsten und auch musikalisch experimentierfreudigsten und interessantesten Alben seines bisherigen Schaffens ab, die ob der konstant hohen Qualität und Vielzahl an sensationellen Songs bei der treuen EDGUY- und AVANTASIA-Fangruppe (und hoffentlich auch bei vielen anderen!) auf offene Ohren stoßen werden!



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Dragonslayer (29.03.2010)

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