Agalloch - Marrow Of The Spirit

Bereits seit ihrem ersten Werk "Pale Folklore" von 1999 fahren AGALLOCH positive Kritiken ein. Daran soll sich auch mit dem neuesten Output "Marrow Of The Spirit" nichts ändern, denn die Amis haben ihre Mischung aus Black Metal, Ambient, Neofolk, Prog, Post Rock und Doom mittlerweile nahezu perfektioniert.

"Marrow Of The Spirit" gehört nicht zu den Alben, wo man diesen oder jenen Song als Anspieltipp herausfiltern kann. Die Intention der Band ist es nach wie vor, eine Atmosphäre zu erschaffen, die den Hörer zu fesseln versteht. Und das gelingt ihnen auch auf "Marrow Of The Spirit" wieder bestens. AGALLOCH erzeugen Klanglandschaften aus vielen emotionalen Gemütszuständen. Dass diese Stimmungen oft oder überwiegend eher melancholisch, traurig, finster und aufwühlend erscheinen, stört allerdings überhaupt nicht. Viel wichtiger ist, dass man die Musik fühlen kann, dass man sich in sie hineinversetzen und von ihre mittreiben lassen kann. Und in der Hinsicht kann man den Amerikanern nichts vormachen.

Im Vergleich zu früheren Werken kommen mir AGALLOCH aber teilweise härter und noch etwas finsterer vor. Die Konstrukte erscheinen noch etwas komplexer, ohne dass das aber die erzeugte Atmosphäre stören würde. Experimente mit Dissonanzen und sich widersprechenden Melodien gehören weiterhin zur Tagesordnung und sind ein fester Bestandteil des Sounds. Trotzdem wirkt "Marrow Of The Spirit" in sich homogen, weil AGALLOCH es einfach verstehen, alle Facetten ihrer Musik zu einer funktionierenden Einheit aus unterschwelliger Dunkelheit zusammenzufügen.

AGALLOCH werden wohl niemals Musik für Menschen machen, die es geradlinig und eingängig mögen. Hierfür gibt es auch genügend andere Truppen. AGALLOCH wollen mit ihrem Sound die Sinne und die menschliche Phantasie anregen und den Hörer vor eine akustische Herausforderung stellen. Und diese Schiene fahren sie mit "Marrow Of The Spirit" konsequent weiter, so dass der geneigte Anhänger der Düster-Bereiche hier wieder unbedenklich zugreifen kann.

Seit genau fünfzehn Jahren steht der Name AGALLOCH für anspruchsvollen, progressiven Dark Metal der Extraklasse. Dass sich um diese Band mittlerweile ein wahrer Kult gebildet hat, brauche ich wohl keinem interessierten Metaller zu erzählen. Somit wurde auch das neue Album 'Marrow Of The Spirit' des Quartetts um Chefwaldschrat John Haughm von der treuen Fangemeinde sehnlichst erwartet. Nach dem 2006 erschienenen, umjubelten Vorgänger 'Ashes Against The Grain' ist es nun endlich soweit. Die Mannen aus Oregon setzen zum vierten Mal an, der Natur zu huldigen und aufgrund ihrer Zerstörung durch den Menschen in tiefer Melancholie und Depression zu versinken und das düsterer als je zuvor. Gleich zu Anfang sei das wunderschöne Artwork von Mark Thompson hervorgehoben, welches schon ein Kunstwerk für sich darstellt und wohl zu den besten Coverdesigns aller Zeiten gezählt werden kann.

Eingeleitet wird die Scheibe von Wasserrauschen und Celloklängen, besser bekannt als das tieftraurige Intro 'They Escaped the Weight of Darkness'.
Hier bemerkt man einmal mehr die deutlichen Neofolkeinflüsse AGALLOCHs. Auf diese sehr behutsame Einführung, folgt mit 'Into the Painted Grey' ein wahrer Hassbrocken. Dermaßen doomig und desillusioniert hat man die Gruppe eigentlich noch nie erlebt, was wohl zum Teil mit dem zerstörerischen Drumming von Neuschlagzeuger Aesop Dekker zusammenhängt. Meister Haughm hat man ebenfalls schon fröhlicher erlebt, da er die Vocals krächzender denn je ausspeit und zumindest bei diesem Stück vollkommen auf seinen wunderbaren Klargesang verzichtet.

Den ersten, wahrhaften Meilenstein auf 'Marrow Of The Spirit' stellt jedoch das unbeschreibliche 'The Watcher's Monolith' dar. John Haughm flüstert, klagt und krächzt, während Gitarrengenie Don Anderson mit entrückten Melodiebögen zu tranceartigen Reisen ins eigene Ich einlädt. Dieser Song bietet absolut alles, was AGALLOCH ausmacht, von romantischen Akustikgitarren, bishin zu stürmischen Black Metal Ausbrüchen. Auch live könnte dieser Track zu einem wahren Hit mutieren. Was das darauffolgende, siebzehnminütige Monumentalwerk 'Black Lake Nidstång' an experimentellen Klangkünsten bietet, vermag ich kaum in Worte zu fassen. Begleitet von einer minimalitischen, an Drone Doom erinnernden Grundstimmung, liefern AGALLOCH mit diesem Song ein depressives Meisterwerk. Seinen Höhepunkt findet das Ganze ab Minute acht, als sich Frontmann Haughm die Seele aus dem Leib kreischt und heult. Bei diesem emotionalen Part sind mir fast die Tränen gekommen.

Mit 'Ghosts Of The Midwinter Fires' gibt es einen recht traditionellen AGALLOCH Song auf die Ohren, der aber mit filigranem Riffing und unendlicher Verträumtheit punkten kann. Trotzdem bleibt dieser leicht desillusionierte Touch, welcher vor allem in den atmosphärischen Gitarrenleads zu Tage tritt. Besonders die immer wiederkehrende Grundmelodie verankert sich schon nach dem ersten Hördurchlauf im Gedächtnis. Das abschließende 'To Drown' ist ein wiederum sehr experimentelles, Drone beeinflusstes Beinaheinstrumental, welches durch wunderbare, leicht industrialisierte Klanglandschaften führt, um trotz aller Soundwände immer wieder zur schlichten Schönheit der Akustikgitarre zurückzukehren.

Insgesamt betrachtet ist 'Marrow Of The Spirit' ein recht ungewöhnliches Album, das ich von AGALLOCH in dieser Form nicht erwartet hätte.
Diese Scheibe kommt einer Neudefinition des Sounds von AGALLOCH gleich, da die Truppe ihrer Musik einige neue Elemente beigefügt hat.
Gleichsam ist es, neben den anderen Veröffentlichungen dieser Ausnahmeband, eines der besten Stücke Musik, die ich je hören durfte. Da 'Marrow Of The Spirit' für mich jetzt schon das Album des Jahres ist und mir ob der Genialität des Quartetts schlichtweg die Worte fehlen, möchte ich diese Veröffentlichung jeder musikalisch interessierten Person ans Herz legen. Wer damit überhaupt nichts anfangen kann, hat den Begriff Kunst nicht verstanden!