FLYING COLORS - Live In Europe

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VÖ: 11.10.2013
Bandinfo: FLYING COLORS
Genre: (nicht klassifizierbar)
Label: Mascot Records
Hören & Kaufen: Amazon
Lineup  |  Trackliste

Natürlich ist es etwas verwegen, nach bloß einer einzigen Platte schon mit einer Live-DVD anzurücken. Im Falle des Allstar-Konglomerats FLYING COLORS ist dieser Schritt aber wohlüberlegt und mehr als gerechtfertigt, denn erstens erblüht die Combo erst so richtig, wenn sie auf der Bühne steht, und zweitens gibt es genügend Leute, die die Amis auf ihrem letztjährigen Europa-Abstecher verpasst haben. Wer also - so wie ich auch - nicht die Möglichkeit hatte, das Quintett auf der vergangenen Tour zu erleben, muss sich jetzt auch nicht mehr in den Allerwertesten beißen, sondern darf sich auf eines der geilsten Live-Filmchen der letzten Jahre freuen. Ich übertreibe? Vielleicht - aber zu einem zünftigen Live-Erlebnis, das unter die Haut geht, gehören am Ende weder Special Effects, noch aufblasbare Puppen oder eine protzige Lightshow. Es reichen auch fünf begnadete Musiker, die einzig und allein ihre Songs sprechen lassen.

In den knapp zwei Stunden kann und will man dann auch gar nicht mehr von der Couch aufstehen, nicht zum Klogehen, nicht zum Trinken holen, nicht zum Geschirrspüler ausräumen. Man sitzt einfach da und strahlt wie ein kleines Kind, das das erste Mal den Weihnachtsbaum sieht. Selten habe ich in letzter Zeit (mit Ausnahme der STEVEN WILSON-Live-DVD) solche Emotionen bei einem Konzert aus der Konserve durchlebt. Und selten hat man Musiker, von denen man meint sie hätten eh schon alles gesehen, mit solcher Leidenschaft und Inbrunst performen sehen. Das Publikum im holländischen Tilburg, wo die DVD gefilmt wurde, weiß seine Begeisterung mit heftigen Beifalls-Stürmen kundzutun, die Musiker sind zum Anfassen nah, gut drauf und scherzen amikal mit den Fans. Steve Morse ruht wie immer in sich selbst und liefert teils überirdische Soli, Neal Morse hat sichtlich Spaß beim Grimassen schneiden hinter seinen Keyboards und Dave LaRue gehört leider immer noch zu den unterbewertetsten Bassisten des Planeten.

Natürlich hat Mike Portnoy auch hier ein größeres Mitteilungsbedürfnis, aber weder er noch die anderen Musiker stellen sich in den Vordergrund, alles funktioniert als Gesamtes, jeder ist Teil des Großen Ganzen. Der etwas introvertiert wirkende Casey MacPherson erweist sich bald als prima Frontmann, und sollte es eine Re-Inkarnation von Jeff Buckley geben, so hat sie sich in der Gestalt des schmächtigen Texaners manifestiert. Allein die intensive Interpretation von "Hallelujah" treibt einem die Tränen in die Äuglein! Zwischen sämtlichen FLYING COLORS-Tracks streut das Quintett dann auch jeweils Songs von SPOCK'S BEARD ("June"), ENDOCHINE ("Can't Find A Way"), DREAM THEATER (das düstere "Repentance" wird von einem Bass-Solo von Dave LaRue eingeleitet) und den DIXIE DREGS ("Odyssey" lässt hier sämtliche Kinnladen gen Wohnzimmerboden krachen) ein.

Irgendwie ist es halt ein Dilemma, und das sagt auch Mister Portnoy irgendwann mal: Einen zweistündigen Live-Set mit bloß einer Langspielplatte vollzubekommen, reicht einfach nicht. Hoffentlich bleibt der Allstar-Fünfer bei seinen Prinzipien, denn so hat man genügend Abwechslung im Konzert - auch wenn die Leute sämtliche FLYING COLORS-Songs mit grölen, ein paar Klassiker zwischendurch tun immer gut. "Live In Europe" zeigt, wie eine Band, die eigentlich als Nebenprojekt gestartet ist, zu einer soliden Einheit verschmilzt. Und es zeigt eines der intensivsten Live-Erlebnisse die man seit langem auf den Bildschirm gezaubert bekommen hat, Dolby Digital und dem perfekten Filmschnitt sei Dank. Als Bonus gibt's das Ganze noch auf zwei Audio-CDs, und die 50-minütige Behind The Scenes-Doku "First Flight" schraubt den Sympathie-Bonus für die fünf Herrschaften nochmal kräftig nach oben. Kaufen, kaufen, kaufen!



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: Mike Seidinger (18.10.2013)

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