OPETH - Der "Sorceress"-Gangbang

Ein neues OPETH-Album - das ist für mich eine Fortsetzung einer geliebten Geschichte. Wir hatten großartige Episoden, Minuten, die Spuren hinterlassen haben, wie das 1999er „Still Life“ oder das 2011 erschienene „Heritage“. Es gab aber auch Geschichten, Sounds und Atmosphären aus der OPETH’schen Feder, die nicht für jeden die richtigen Töne angeschlagen haben; so beispielsweise ein hochgelobtes „Blackwater Park“, das garantiert ein großartiges Werk ist, den Weg in meinen Plattenspieler allerdings so gut wie nie findet. OPETH schreiben mit jedem Album ihre Geschichte weiter, die sie 1995 mit „Orchid“ begonnen haben. Dabei verlieren sie ab und an Zuhörer, gewinnen aber auch immer wieder neue. Nicht jedes Kapitel der Geschichte ist für jeden Hörer geeignet und jeder wird insgeheim seinen Favoriten haben, von dem er sich immer wieder gern in einen bestimmten Abschnitt der OPETH-Anthologie entführen lässt.

Mit „Sorceress“ schlägt das schwedische Quintett rund um Mastermind Mikael Åkerfeld das nächste Kapitel auf. Es ist ein dunkles und melancholisches Kapitel, weit weniger leicht zugänglich als die beiden letzten Alben „Heritage“ und „Pale Communion“. Natürlich wäre es jetzt leicht zu versuchen, „Sorceress“ mit einzelnen Aspekten früherer Alben zu beschreiben, aber OPETH haben sich hier – wie mit so ziemlich jeder Veröffentlichung seit der Bandgründung – neu erfunden. Das soll nicht bedeuten, dass hier nicht verschiedenste eigene Einflüsse kombiniert werden und man sich nicht an unterschiedlichsten Stellen an frühere Werke zurückerinnert fühlt. Dramatik wie in „Ghost Reveries“, verliebte Akustikgitarren wie in „Still Life“, und eine Düsternis, wie sie zuletzt auf „Watershed“ zu hören war. Aber auch wenn all das zutrifft, gibt es kein Bild davon, was „Sorceress“ wirklich ist. Es ist überraschender, mutiger und präziser als die letzten Releases, und endlich mal wieder ein Konzeptalbum, das es in sich hat. Während auf meiner vor zwei Jahren gekauften CD von „Pale Communion“ noch mit einem Aufkleber mit der Aufschrift „feat. Cusp Of Eternity“ geworben wird, wüsste ich nicht, mit welchem Song „Sorceress“ werben sollte. OPETH kreieren hier fast 60 Minuten Gesamtwerk, das gar nicht in einzelne Songs hätte unterteilt werden müssen, da es keine andere Möglichkeit gibt das Album zu hören, als von Anfang bis Ende. Dabei reicht die Spanne der Musik von leise und verspielt („Persephone“, „Will O The Wisp“, „Sorceress 2“, „The Seventh Sojourn“) bis progressiv und heavy („Sorceress“, The Wilde Flowers“, „Era“), ohne jedoch den gemeinsamen Vibe des Albums zu verlieren. „Sorceress“ ist aufgebaut wie ein dunkles dramatisches Theaterstück, mit Spannungsbögen, Höhepunkten und Wendungen, welches in „Strange Brew“ im letzten Drittel der Platte gipfelt. Das Albumkonzept klingt frisch und unverbraucht, aber holt den OPETH-Hörer genau da ab, wo „Pale Communion“ ihn abgesetzt hat: Im Mysteriösen, im Unbekannten, das trotzdem heimische und vertraute wirkt.

OPETH haben es wieder einmal geschafft und sich selbst übertroffen. „Sorceress“ erzählt eine dunkle und mystische Geschichte mit vielen Stilmitteln und mehr Details, als der Normalsterbliche entdecken kann. Das Album geht weit über den reinen Hörgenuss hinaus, und regt OPETH-typisch die Fantasie an, so dass eine eigene Geschichte entsteht, ein neues Kapitel im OPETH-Universum. Und nein, die Growls sind nicht zurück.


Bewertung: 5.0 / 5.0 - Lucas Prieske

 


 

Einleitung
Captain Critical
Lucas Prieske
Mike Seidinger
Manuel Ennser
Christian Wilsberg
Florian Dammasch
Anthalerero
Phillipp Annerer
Sonata


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