SUICIDE SILENCE - der "Suicide Silence"-Gangbang

Veröffentlicht am 20.02.2017

Die neue SUICIDE SILENCE das erste Mal anzuhören, das war für mich irgendwann, wie durch einen finsteren Wald gehen zu müssen, nachdem man diverseste Schauermärchen über eben diesen Wald gehört hat. Von „Kannst dir nicht anhören!“ über „Was ist denn in die gefahren?“ bis „Ich höre ab heute nur noch Schlager und BABY METAL!“ reichen die Meinungen in der Redaktion, und da soll man sich dann ein vernünftiges, unbefangenes Bild machen können. Ok, also schnappe ich mir meine virtuelle Taschenlampe und begebe mich in den finsteren Wald der selbstmörderischen Stille.

Nun gibt es wahrscheinlich zwei Kategorien der SUICIDE SILENCE-Annäherung: Eine für Menschen, die die Band vor diesem Album noch nicht kannten (soll es ja angeblich geben…), und eine für eingefleischte SS-Fans (sic!). Welche in diesem Fall optimaler ist, kann ich nicht sagen, denn ich falle eher in die erste Kategorie, kenne aber trotzdem ein paar ältere Sachen der Band. Vielleicht sollte man sich auch nicht unbedingt die Singleauskopplung „Doris“ als erstes Hörbeispiel heranziehen, weil sie nämlich zu wenig repräsentativ für die gesamte Platte ist und den Anschein erweckt, als würden die Burschen aus dem kalifornischen Riverside zwanghaft versuchen, nach KORN zu klingen ohne KORN imitieren zu wollen. Gut, diese Tendenz kann man auch in anderen Songs dieser selbstbetitelten Scheiblette erahnen.

Jetzt war ich nie der allzu große Metalcore-Freund, und „Suicide Silence“ macht mir zumindest teilweise wieder bewusst, warum. Zu viel hysterisches, pseudo-emotionales Geplärr, zu viele Tempi- und Stimmungswechsel (Breakdowns my ass!), und hier noch dazu ein teils sehr verwirrter Stil-Mischmasch, der irgendwo zwischen schlechtem Visual Kei, aggressivem Todes-Gebolze und zwanghaftem Noise-Post-Rock zu kreisen versucht. Höre ich mir im Vergleich etwa „The Black Crown“ (2011) an, klingt das Teil hier wie ein musikalischer Auffahrunfall, verglichen mit einem relativ glimpflichen Parkschaden. Aber halt! Es ist nicht so schlimm, wie ich hier vielleicht den Eindruck zu erwecken gedenke – „Suicide Silence“ ist für eine Band von diesem Kaliber, die sich bereits eine solch solide Fanbase erspielt hat und hochfrequent in irgendwelchen Billboard Top Twenty auftaucht, durchaus ein Wagnis und eine Gleichung mit vielen neuen Parametern und Unbekannten.

„Dying In A Red Room“ oder „Conformity“ etwa sind gar nicht mal schlechte Songs mit viel Feeling und Atmosphäre, dagegen stehen auf der Soll-Seite solch garstig-grausliche (und verzichtbare) Eruptionen wie das chaotische „Hold Me Up Hold Me Down“, das einem den letzten Nerv raubt und den nächsten Zahnarztbesuch in ein gar freudiges Ereignis verwandelt, oder „Don’t Be Careful You Might Hurt Yourself“, das klingt als würde man METALLICA’s „St. Anger“ auf dreifacher Geschwindigkeit abspielen während man Hundewelpen durch den Fleischwolf dreht. Das zuerst sehr poppig angehauchte, später eher stampfend-harsche „Run“ kann man wiederum zu den wenigen Pluspunkten zählen, ebenso vielleicht noch das doomig-sludgige „Silence“.

Es wird genügend Leute geben, die, ohne weiter nachzudenken, „Messias!“ und „Erlösung!“ schreien, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich das Teil im sechsstelligen Bereich absetzen lässt. Es wird aber hoffentlich auch genug kritische Geister geben, die sich die Scheiblette mit der ihr gebührenden Skepsis zu Gemüte führen und dann selbst entscheiden, ob das ganze nun absolute Scheisse oder absoluter Kult ist. Oder halt irgendwo dazwischen.

2,5 von 5 Punkten / Mike Seidinger
 


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Jazz
Seite 3: Lucas Prieske
Seite 4: Mike Seidinger
Seite 5: Anthalerero
Seite 6: Das Fazit


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