WINTERSUN - das 'The Forest Seasons' Gangbang-Review

Grüner Frühling kehret wieder, bringt uns Blüten ohne Zahl,
Und sein fröhliches Gefieder jauchzt in Wald und Wiesental,
Jubelt ob dem Saatenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Süßlich klingt er, der Frühling, vertreibt er doch die Tristesse der langen Nacht mit harmonischen Erwachen der in seiner eigenen Melodie erklingenden Fauna der finnischen Wälder - „Awaken From The Dark Slumber (Spring)“ – fast so als vor Jahren, in der „Sturm und Drang Zeit“ des forschenden Wanderers, als er durch die musikalischen Kammern der aufkommenden kommerziellen Paganwelle auf ENSIFERUM gestoßen war und sich von dem heroischen Hybriden aus Spatha schwingender Folklore und kompositorisch im epischen, die Brust des Kriegers anschwellend lassenden, indigenen Sakralsegment bewegenden Schlachtengesang zur Trinkhornsippschaft hinziehen lies. Kulturelle Jugendsünden, geschuldet einer persönlichen musikalischen Emanzipation, der man mit fortschreitendem Alter und der vermeintlichen Reife, hin zum Todesblei und seiner ejakulierenden Brüder und Körpersäfte versprühenden Schwestern, entwachsen war – doch „The Forest Seasons“ führen einen nun noch einmal zurück in seine eigene Vergangenheit und das mit einem epischen und kompositorisch beachtlichen Opener, der nur so von hymnischer Eleganz strotzt und anfänglich wahrlich von einem Frühlingserwachen kündet. WINTERSUN-Mastermind Jari Mäenpää weiß wie die überladene, epische Dramatisierung, die Darstellung des Frühlingstaus auf nackter Haut zu transportieren ist – doch das Jahr hat vielmehr vier Zeiten im Zyklus und am Ende steht bekanntlich immer noch die bittere Kälte des Winters!

Goldner Sommer, da in Bogen hoch die Sonne glänzend geht,
Und mit windbewegten Wogen sanftes Flüstern heimlich weht,
Durch das reiche Ährenfeld: O, wie herrlich ist die Welt!

Die Schmelze des Schnees spült alles zu Tal, den Schnee, die Kadaver und die Gefühle, bis sie sich ausbreiten zur glühenden Zeit, wenn die Wiesen blühen und ausgezogen wird zur Jagd – „The Forest That Weeps (Summer)“ – Mutter Erde möge gehuldigt werden und irgendwie erinnert einen die Huldigung an die schöpfende Kraft der feuchten Erde, doch sehr an einen Drehleierspieler, dem die Hitze der Jahreszeit zu schaffen macht, wenn er da steht und seine Dudeleien dem jauchzenden Volk stundenlang vorspielt, in der Hoffnung doch ein paar Schilling für seine Darbietung zu erhalten. Episch in die Länge ziehen sich alle vier vorgetragenen Zelebrationen, doch die sommerliche Hitze lässt einen schon oftmals nach Luft schnappen, wenn man da voll stolz geschwellter Brust im Pilgerchor die Berge erklimmt und einem am Ende nicht mehr die physische Möglichkeit verbleibts sich am Sieg zu erfreuen – unter glühender Sonne zu Tode getrieben!

Brauner Herbst, wo Früchte drängen sich im Garten und im Wald,
Wo von sanften Rebenhängen froh das Lied der Winzer schallt
Über das geleerte Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

„Winter Is Coming“, ein bedrückendes Gefühl, wenn sich die Herbstdepression vor der langen Dunkelheit ausbreitet, sich um die Seelen der Menschheit schlingt, wie das Garn der Spinne um ihr Opfer – gnadenlos schnürt sie sich um die Gliedmaßen und saugt den köstlichen Lebenssaft, einem Aderlass aus süßesten Wein gleich, heraus aus dem erkaltenden Körper, bis dieser erstarrt. Eintönigkeit ist die Maxime – „Eternal Darkness (Autumn)“ – nahezu schwarzmetallischer Magie gleichend, betet man sein Kredo in unveränderter Beständigkeit, dem immer kälter werdenden Herbst gleichend, in allmählicher Erstarrung des Lebens, manifestiert in endloser, kreischender Melodie der Saiten und dem Unterton einer bedrohlichen Unbekannten, welche die Wacht beenden wird und sich mit gutturaler Stimme durch das Unterholz auf den finalen Akt zubewegt und nicht von Gnade, sondern von Hass getrieben unaufhaltsam vorwärtskriecht. WINTERSUN manifestiert sein Opus Magnum – Monotonie als ungewohntes Stilmittel eines durch kompositorische Abwechslung gerühmten Barden, spitz geführt wie die Klinge eines Waldläufers.

Weißer Winter - schneeverhangen liegt die Welt in stillem Traum;
In demantnem Glanze prangen Wald und Wiese, Busch und Baum,
Und im Silberschein das Feld: O, wie herrlich ist die Welt!

Depressiv manifestiert sich die kalte Jahreszeit in Herzen und Gemüt – „Loneliness (Winter)“ – eisige Tristesse schwebt zwischen den schneeverwehten Bäumen, die sich als beständige, starre Zeugen der Jahreszeit den Urgewalten der Natur stellen. Die Zeit scheint stillzustehen, wenn der Frost am Leben, an der Substanz des Seins nagt und sich in melancholischer Bitterness durch die Hoffnung frisst, die Welt im Dunkel versinkt und der Lebenswille im Schein der Nordlichter dahinvegetiert – dann spielt Jari Mäenpää seinen Trumpf aus: Die Stärke, kitschiges Finnen-Gedudel in frostige Atmosphäre zu verwandeln, getragen von sakraler Überladung, gipfelnd im Stillstand des Äthers und dem Schließen des Zyklus, welcher sich in seiner Urgewalt subjektiv wie ein wahrliches Jahr anfühlte. Man scheint gealtert zu sein, als die Melodie verstummt und die Welt im Sterben liegt, bis zum nächsten Frühlingserwachen.

Ob der Frühling grünt und blühet, Sommer steht in goldnem Kleid,
Ob der Herbst in Farben glühet, ob's im Winter friert und schneit -
Glücklich, wem es stets gefällt: O, wie herrlich ist die Welt!

Herrlich ist die Welt nicht nur für Heinrich Seidel, auch dem rudimentären Finnen-Epic-Jünger wird sich ein neuer Kosmos eröffnen und für einen subjektiven Rauschzustand zwischen Zirbenholzjoint und drei Liter Vodka sorgen – der objektiven Analyse hält „The Forest Seasons“ dann nicht mehr in seinem anfänglichen Glanz und Gloria stand, zu ausgedehnt wirken die vier erschaffenen Epen. Entgegen des kompositorischen Genies breitet sich die Mühsal aus, dem Umfang des Opus Magnum werden wohl auf Dauer nur die Wenigsten gewachsen sein. Trotz des kompositorischen Willens, verliert sich Jari Mäenpää zu tief in seinem Kosmos, man kann WINTERSUN nicht in alle seine tiefsten Abgründe folgen, wird man doch zuvor schleichend aus dem überladenen Werk gedrängt; Schade eigentlich, hätte man sich auf die Knackpunkte, anstatt der endlosen Ausdehnung besonnen, so wäre die Chance wirklich Großes zu erschaffen mehr als gegeben gewesen… Aamu on iltaa viisaampi!

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Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Christian Wiederwald
Seite 3: Laichster
Seite 4: Christian Wilsberg
Seite 5: Sonata
Seite 6: Pascal Staub
Seite 7: Daria Hoffmann
Seite 8: Anthalerero
Seite 9: Fazit


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