DARK TRANQUILLITY - Das "Moment" Gangbang Review

Ab Mitte der 90er prägten meinen metallisch-musikalischen Geschmack im Bereich des melodischen Death Metal skandinavischer Art vor allem drei Bands, AMORPHIS, IN FLAMES und eben DARK TRANQUILLITY. Meine erste Begegnung mit Mikael Stanne und seinen Mannen hatte ich 1995 mit dem zweiten DT Album „The Gallery“ (das mit „...of Melancholy Burning“ einen absoluten Blaupause-Track des schwedischen Melodeath enthält) Und vor satten zwanzig (!!!) Jahren veröffentlichten DARK TRANQUILLITY mit „Haven“ mein bis heute absolutes Lieblingsalbum. Eine Scheibe, die mit „Not Built To Last“, „Feast Of Burden“, „Haven“, „The Same“ (bester DT-Song aller Zeiten!), „Rundown“ und „The Loss Of Words“ zahlreiche Hymnen für die Ewigkeit beinhaltet, die nach wie vor ihresgleichen suchen.

Seit „Haven“ (und davor auch nicht) haben DARK TRANQUILLITY bis heute kein einziges schlechtes Album abgeliefert, und das waren, einschließlich des neuesten Outputs, immerhin sieben Longplayer. Speziell die beiden letzten Veröffentlichungen „Construct“ (2013) und „Atoma“ (2016) waren äußerst starke Releases (für mich hat „Construct“ aufgrund der etwas höheren Hitdichte die Nase dezent vorn). Und nun also Studioalbum Nummer zwölf: „Moment“. Na dann hören wir doch mal, was sich seit „Atoma" so getan hat, ob die Band den Weggang von Gründungsmitglied Niklas Sundin einigermaßen verkraftet hat, und ob die beiden neuen Axtschwinger Christopher Amott (der seinerseits eine klaffende Lücke bei ARCH ENEMY hinterlassen hat) und Johan Reinholdz sich erfolgreich ins Bandgefüge integrieren konnten.

Der Opener „Phantom Days“ zeigt schon nach kurzer Zeit – Durchatmen! Allen Besetzungswechseln und damit weggebrochenen Songwriting-Quellen zum Trotz, was hier aus den Boxen tönt, sind unverkennbar DARK TRANQUILLITY. Und nach ein, zwei Komplettdurchläufen des neuen Albums kommt der Rezensent unweigerlich zu der Erkenntnis, dass es sich mit DT anno 2020 ähnlich verhält, wie mit den (kürzlich auf dieser Plattform ebenfalls besprochenen) SÓLSTAFIR. In der dortigen Rezension habe ich den Begriff Rückschritt nach vorn verwendet. Und das trifft es auch bei „Moment“ recht gut. DARK TRANQUILLITY klingen auf der neuen Scheibe melodieverliebt und verspielt, wie eh und je, aber auch frisch und modern. Dazu finden sich allenthalben Verweise und Reminiszenzen an die eigene diskografische Historie, aber eben nicht als radikales Back To The Earliest Roots. In dem im „Moment“-Cockpit implementierten Rückspiegel ziehen eher Erinnerungen an die musikalische Vergangenheit ab der „Projector“-Phase am geneigten Hörer vorüber.

So wurde das (heimliche) Flehen des Schreiberlings endlich erhört, Mikaels exzellenten Klargesang doch (wieder) mehr als immer nur vereinzelt einzusetzen. 1999 kamen auf „Projector“ die cleanen Vocals in neun von zehn Songs zum Einsatz, auf „Moment“ immerhin in der Hälfte der Stücke. Und der Klargesang ist einer der Grundpfeiler der Klasse des neuen Albums, denn dadurch werden die Tracks ungemein abwechslungsreich, spannend und erhalten durch die zuweilen regelrecht samtige Stimme des Frontmannes eine ungeahnte Tiefe, die mehr als einmal eine Gänsehaut beim Hörer verursacht.

Stücke wie der Opener, „The Dark Unbroken“, „Standstill“ (absolutes Album-Highlight!) „Eyes of the World“ oder „In Truth Divided“ (ebenfalls nochmal besonders hervorzuheben, und dabei ist das Stück „nur“ ein Bonustrack!!!) stehen in der Tradition von und auf einer Stufe mit unsterblichen DARK TRANQUILLITY Meilensteinen wie „Therein“ („Projector“), „The Same“ („Haven“), „Final Resistance“ („Damage Done“), „Misery's Crown“ („Fiction“), „Her Silent Language“ („We Are The Void“), „The Silence In Between“ („Construct“) oder dem Titelsong des Vorgängers „Atoma“.

Aber auch die Tracks mit ausschliesslich dem melodeath-typischen Knurrgesang entfalten definitiv ihre Wirkung. „Identical To None“ (gnadenlos geiler Chorus!), „A Drawn Out Exit“ und „Failstate“ glänzen mit zum Teil unglaublichen Melodien, mitreißendem Groove und erstklassiger Gitarrenarbeit der beiden Neuzugänge. Dass Viersaitenveteran Anders Iwers (wie immer) eine absolut sichere Bank ist, muss eigentlich nicht extra erwähnt werden, schließlich ist der Bassist seit Jahrzehnten eines der Standbeine der DARK TRANQUILLITY Landsleute von TIAMAT. Und auch Gründungsmitglied Anders Jivarp am Schlagzeug und Langzeit-Tastenmann Martin Brändström liefern in ihren Bereichen absolutes State-Of-The Art Handwerk ab. 


Fazit:

 

Wow! Es freut mich wirklich ungemein, dass die Band mit dem vielleicht sympathischsten Frontmann der Metalwelt im 31. Jahr ihres Bestehens tatsächlich so einen Kracher raushaut! „Atoma“ und vor allem „Construct“ waren großartige Alben, mit denen DARK TRANQUILLITY an ihre Karriere-Höhepunkte „Projector“ und „Haven“ anknüpfen konnten, aber „Moment“ ist dann doch noch mal eine Klasse für sich. Mikael läuft stimmlich sowohl clean als auch knurrend zu absoluter Höchstform auf. DT schütteln am laufenden Band Melodien aus dem Ärmel, für die andere Bands töten würden, lassen zum Teil sämtliche Genregrenzen hinter sich („In Truth Divided“ ist einer der besten Gothic Wave Songs, die ich in meinem Leben gehört habe!) und legen astreine, ausgefeilte und durchdachte Kompositionen von verspielter Leichtigkeit bis düsterer Aggression vor, die auch nach dem x-ten Durchlauf noch neu zu entdeckende Nuancen und kleine Vertracktheiten aufweisen, so dass einem Langzeit-Hörgenuss nichts im Wege steht. „Moment“ ist ein wirkliches Highlight des Metal-Jahres 2020, und das weit über das Genre des melodischen Todesbleis hinaus.

 

4,5 von 5 Punkten


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Pascal Staub
Seite 3: Anthalerero Majere
Seite 4: Ernst Lustig
Seite 5: Hans Unteregger
Seite 6: Lord Seriousface
Seite 7: Fazit


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