Funeral-Doom-Reise: Etappe 8: Südost-Europa, Türkei

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 04.03.2021

Intro

Funeral Doom ist vielleicht nicht gerade das lebensfroheste Subgenre der großen Metal-Spielwiese, aber … Nein, kein Aber. Funeral Doom ist der direkte klangliche Mangel an Lebensfreude. Depressiv bis nihilistisch dröhnt und rauscht er sich meist mit einer Mischung aus Death Metal und doomiger Langsamkeit in die Ohren seiner Hörer.
Diesem wunderbaren Genre soll hiermit ein schriftliches Denkmal gesetzt werden: eine Reise durch den aktuellen Funeral Doom.
Welche Band nun tatsächlich Funeral Doom spielt und welche vielleicht doch eher Death Doom, wird hier simpel nach ihrer Kategorisierung in der Encyclopaedia Metallum festgestellt. Welche Band „aktuell“ ist, wird beinahe willkürlich darauf festgelegt, dass sie aktuell als „nicht aufgelöst“ gelten und in den letzten fünf Jahren mindestens eine Studio-LP oder -EP veröffentlicht haben muss – Ausnahmen bestätigen auch diese Regeln. Wer eine Band vermisst, schreibe gern den Stormbringer an und beschwere sich freundlich – vielleicht gibt es dann Nachträge.

Von Rumänien bis Griechenland

Die achte Etappe unserer Funeral-Doom-Reise bewegt sich in dem geografischen Dreieck zwischen Slowenien, Rumänien und Griechenland, wo sich nach unserer Recherche sieben Bands und Projekte verstecken, die sich dem Funeral Doom verschrieben haben.

DESCEND INTO DESPAIR

Nördlich beginnend treffen wir zuerst auf DESCEND INTO DESPAIR (dt.: Abstieg in die Verzweiflung) in Rumänien. Das Septett hat – zumindest in Teilen – bereits ein Jahrzehnt auf dem Buckel und erlaubt uns seit 2020 in ihr drittes Album „Opium“ hineinzuhören. Der Name der Platte ist Programm: Wie ein einziger betäubender Rausch wabern das mal Richtung Windrauschen reduzierte, mal deathig gewaltige Gutturalgrollen, die dräuende Drum-Riff-Basis und die kontrastierend lebhafteren und dennoch einlullenden Gitarrenklänge ins Ohr und berauschen das Hirn. Unsere Etappe beginnt mit exzellentem Funeral Doom!

MOURNERS

Ebenfalls in Rumänien gibt es MOURNERS zu entdecken, die 2019 als Nachfolge-Band von EYE OF SOLITUDE entstand, denen wir bereits auf unserer vierten Etappe in Großbritannien begegnet sind. Hervorzuheben ist hier erneut die großartige Arbeit von Daniel Neagoe, der z. B. auch bei PANTHEIST mitwirkt, die wir während des dritten Reiseabschnitts getroffen haben, und sich für die große Kunst von BEREFT OF LIGHT verantwortlich zeigt. Gerade die Nähe zum letztgenannten Projekt lässt sich beim Debütalbum von MOURNERS nicht verleugnen. Düster, blackened und gewaltig stehen die lauten Parts den ruhigeren gegenüber, die mal von Dark-Ambient-Sounds, mal von minimalistischem Klavierspiel erfüllt sind – Nagoe ist ein, wenn nicht der Meister der zurückgenommenen Klänge, MOURNERS eine Quelle großer Kunst, von der wir noch viel erwarten dürfen!

BENEATH THE STORM

Unter dem Sturm – oder besser gesagt in Slowenien bei BENEATH THE STORM – hat der Solo-Musiker Shimon bis zum 2015er Album „Devil's Village“ Funeral Doom mit Drone- und Sludge-Anteilen gespielt. Das vierte Album „Lucid Nightmare“ aus dem Folgejahr hingegen weist nur noch Reste aus dieser Genremischung auf. Stattdessen kommen erhebliche Thrash- und Groove-Metal-Einflüsse hinzu oder übernehmen über große Strecken gleich ganz. Da es zwecklos ist, Weiterentwicklungen von musikalischen projekten kritisieren zu wollen, reisen wir doch einfach schnell weiter nach Kroatien.

LITANIJE ČARANJA oder LITANIES OF BEWITCHMENT

In Kroatien warten nämlich LITANIJE ČARANJA auf uns, oder genauer gesagt LITANIES OF BEWITCHMENT – denn so nennt Marin alias Percus Funeris seine One-man-Band seit 2017. Oder besser gesagt nannte, weil er das Projekt 2019 beendet hat. Und da wir schon bei Korrekturen sind, sei auch noch gesagt, dass Marin von Kroatien nach Kanada gezogen ist. Trotzdem ein schneller Blick ins einzige Album „Enter The Sepulchre“ (2016), was so viel bedeutet wie „Betritt das Grab“: Langgezogene Gitarrentöne beherrschen ein nur spärlich bedrumtes, dezent bebasstes und gelegentlich düster begrummelgrowltes Funeral-Doom-Werkchen, das wenig hergibt.

UMBRA DEFORMIS

Hoffentlich erwartet uns in Bosnien Herzegowina etwas Interessanteres. Dort ist das Solo-Projekt UMBRA DEFORMIS des Künstlers Lost zu finden. Nach einem Demo 2017 hat er 2020 eine EP namens „II: The Last Judgment“ (dt.: das Jüngste Gericht) hervorgebracht. Darauf scheppert es drumlastig und die Leadgitarre steht im Vordergrund. Sie wird auch nicht von Vocals gestört. Auch wenn wir hier kompositorisch mehr geboten bekommen als im vorangegangenen Beitrag, kann die konkrete Umsetzung nicht so wirklich überzeugen. Schade!

PROJECT DEMIOM

Bulgarien, was hast du dem verzweifelt flehenden Funeral-Doom-Herzen zu bieten? Eine Ziege? Eher Goat alias Anton Denkov (Антон Денков), der 2017 mit seinem Solo-Projekt PROJECT DEMIOM eine einzelne kleine EP in die Welt der düsteren Klänge geworfen hat. „Tears In The Void“ heißt das gute Stück in bester Funeral-Doom-Manier. Die Musik ist sehr reduziert, düster, rifflastig und kommt ohne Gesang aus, wird dabei aber überwiegend nicht langweilig, sondern verbreitet gekonnt eine bedrohliche Stimmung zwischen Angst und Schmerz, weiß aber auch nicht immer zu überzeugen. Trotzdem ein guter Ausgangspunkt für mehr!

SHATTERED HOPE

Bei SHATTERED HOPE aus Griechenland handelt es sich um Funeral Doom der sanfteren Sorte, obwohl er mit reichlich Death Metal vermengt ist. Das dritte Album „Vespers“ lädt in traurig-verträumte Klangwelten ein, in denen die Gitarren und die Gesangsstile ein starkes Kontrastfeld eröffnen: grollendes Riffing gegen auflockernde Melodien und Soli, trauriger Klargesang gegen verzweifeltes Death-Growling. Im Gegensatz zu den meisten Solo-Projekten oder Funeral-Doom-Duos stecken hier mal wieder ganze fünf Musiker hinter der Musik und das hört man auch. Verstärkt durch die Durchmischung mit Death Metal entsteht ein vielseitiges, aber nicht sehr extremes Gesamtergebnis. Schenkt SHATTERED HOPE ein Ohr!

Türkei

Diese Funeral-Doom-Reise soll – zumindest vorerst – auf europäischem Boden bleiben. Der Türkei widmen wir dennoch unsere Aufmerksamkeit, da drei der vier dort zu findenden Funeral-Doom-Projekte in Istanbul, der Stadt auf der Grenze der Kontinente, zu finden sind. Aber auch die vierte Band beziehen wir mit ein, um sie nicht der unendlichen Leere der Einsamkeit zu überlassen.

DEPRESSIVE MODE

DEPRESSIVE MODE sind ein Trio, das die klassische Mischung aus Funeral Doom und Drone fabriziert, allerdings über lange Strecken auf eine eher sanfte, entspannende als auf eine bittere, verzweifelte oder natürliche, nihilistische Weise. Neben atmosphärischen Growls gibt es auf der dritten LP „Equilibrium“ (2020) – auf Deutsch: Gleichgewicht – mal elfenhaften Gesang einer weiblichen, aber auch einer weiblichen Stimme und maskulinen Sprech- und Klargesang. Die Musik eckt nicht an, das wird auch nach vielmaligem Hören nicht lästig, bringt aber auch nicht gerade spannende Faktoren mit sich. Allerdings hat die Platte mehr Durchläufe als die meisten anderen bei mir geschafft – denn irgendwie hat sie gerade durch ihre Unaufgeregtheit etwas sehr Schönes!

ILLUSIONS PLAY

Berrin, Vitaliy und Mehmet bilden ILLUSIONS PLAY. Der Name stammt vom dritten Album der finnischen SHAPE OF DISPAIR. Bleiben wir aber bei dem Trio aus Istanbul: Ihr Funeral Doom erhält – vorwiegend wohl durch Berrins weiblichen Klargesang – den Genre-Zusatz Symphonic, hat aber durch die zusätzlichen gutturalen Vocals auch eine gewisse Death-lastigkeit. Von der 2015er EP „Snowflakes“, die auch schon sehr hörenswert ist, zu den ersten Hörproben vom kommenden zweiten Album „The Empire Of Desolation“ machten  ILLUSIONS PLAY noch einmal einen bemerkenswerten Qualitätssprung. Das weckt Vorfreude.

SENCEZIUM

Zwei Dritteln von SENCEZIUM sind wir schon bei DEPRESSIVE MODE begegnet. Das zweite Album erschien 2018 und heißt „A Lament For Each Falling Leaf“ (Eine Klage für jedes fallende Blatt). Darauf hören wir allerlei Progressives bis Experimentelles aus einem aufgespannten Feld von Funeral Doom, Ambient und Post-Rock. Der seltene Gesang steckt irgendwo zwischen Hauchen und Grunzen in einem unangenehmen Englisch fest. Insgesamt schaffen SENCEZIUM aber eine interessante Klangwelt, die trotz der vielen Konkurrenz-Elemente zum Funeral Doom eine wunderbar tragische Stimmung vermittelt.

XORESTH

Für ein letztes Ziel dieser Etappe verlassen wir Europa und begeben uns nach İzmir, wo wir den finstersten, bösesten und brutalsten Funeral Doom dieser Etappe finden. Das Trio XORESTH lädt manches Black-Metal-Element und auch Drone mit in ihre Musik ein. Gewaltig stampfen, rauschen und dröhnen sie einen beklemmenden Krach zusammen, der neue Maßstäbe im Funeral Doom setzen könnte. Das passend benannte zweite Album „Vortex Of Desolation“ (Wirbel der Verwüstung) von 2018 hat die Gnade, kaum länger als eine halbe Stunde zu sein, lässt aber auch nach mehr verlangen. Das Verlassen Europas hat sich gelohnt: einzigartig und hervorragend – und für manch einen sicher nicht viel mehr als übler Krach.

Wieder geht eine Etappe der Funeral-Doom-Reise zu Ende. Eine Etappe, die uns das sanfte wie auch das brutale Ende des Genres gezeigt hat. Demnächst geht es in Tschechien, Polen und der Slowakei weiter.

Bisherige Etappen auf der Funeral-Doom-Reise:

Etappe 1: Österreich, Schweiz, Deutschland (Süd)

Etappe 2: Deutschland (Norden)

Etappe 3: Niederlande, Belgien, Luxemburg

Etappe 4: Großbritannien, Nordirland und Irland

Etappe 5: Frankreich

Etappe 6: Spanien, Portugal

Etappe 7: Italien


WERBUNG: Hard
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