Funeral-Doom-Reise: Etappe 13: Finnland I
Intro
Funeral Doom ist vielleicht nicht gerade das lebensfroheste Subgenre der großen Metal-Spielwiese, aber … Nein, kein Aber. Funeral Doom ist der direkte klangliche Mangel an Lebensfreude. Depressiv bis nihilistisch dröhnt und rauscht er sich meist mit einer Mischung aus Death Metal und doomiger Langsamkeit in die Ohren seiner Hörer.
Diesem wunderbaren Genre soll hiermit ein schriftliches Denkmal gesetzt werden: eine Reise durch den aktuellen Funeral Doom.
Welche Band nun tatsächlich Funeral Doom spielt und welche vielleicht doch eher Death Doom, wird hier simpel nach ihrer Kategorisierung in der Encyclopaedia Metallum festgestellt. Welche Band „aktuell“ ist, wird beinahe willkürlich darauf festgelegt, dass sie aktuell als „nicht aufgelöst“ gelten und in den letzten fünf Jahren mindestens eine Studio-LP oder -EP veröffentlicht haben muss – Ausnahmen bestätigen auch diese Regeln. Wer eine Band vermisst, schreibe gern den Stormbringer an und beschwere sich freundlich – vielleicht gibt es dann Nachträge.
Finnland
Um gleich zu Beginn mit einem Vorurteil aufzuräumen: Finnland hat nicht die meisten Funeral-Doom-Bands Europas. Deutschland hat (nach unserer Recherche) eine mehr. Bedenkt man allerdings, dass Finnland nur etwa 5,5 Millionen Einwohner hat, gibt es bei den Finnen mehr als 14 mal so viele Genrevertreter pro 100.000 Einwohner wie in Deutschland. Also doch das Zentrum des Funeral Doom! Heute betrachten wir den Abschnitt A bis N, nächste Woche den Rest.
ARCHE
In Tampere, der drittgrößten Stadt Finnlands, treffen wir auf ARCHE, ein Duo, das seinen Funeral Doom weitgehend instrumental hält und nur gelegentlich Gutturalgesang einsetzt, der sich dann wie ein Instrument in die Musik einfügt. Leider gibt es von diesem exzellenten Projekt nur eine einzige EP. „Undercurrents“ (2015) (dt.: Unterströmungen) hat eine gewichtige Macht, tiefe Ruhe und kompositorische Schönheit, die manche Band des Genres nach mehreren Platten nicht erreichen konnte. Ein vielversprechender Start, der Hoffnung auf mehr gute Musik macht – sowohl von ARCHE als auch auf dieser Etappe unserer Funeral-Doom-Reise.
CONVOCATION
Wesentlich unentspannter geht es bei CONVOCATION (dt.: Einberufung) aus der Hauptstadt Helsinki zu. Das zweite Album „Ashes Coalesce“ (dt.: Aschen verbinden sich), das Mitte 2020 erschien, beginnt mit einem Song, der uns in einem schmerzlichen Chaos ersticken lassen will. Auch wenn es weniger extreme Passagen auf der Platte gibt, werden wir doch ständig herausgefordert, uns mit der Brutalität des von Death Metal beeinflussten Funeral Doom bzw. des von Funeral Doom beeinflussten Death Metal auseinanderzusetzen. Die beiden Genres gehen hier eine sehr gelungene Symbiose ein, die Entspannungssucher abschrecken und Freunde der brutaleren Töne anziehen dürfte.
GRIMIRG
Bei GRIMIRG hören wir eine Funeral-Doom-Ambient-Mischung aus dem kargen Mutterleib der Nacht. Klingt komisch? Der Grund dafür liegt im Titel des vierten und aktuellen Albums des Solo-Projekts: „From The Barren Womb Of Night“ (2020). Aki Klemm oder Grim666 nennt sich der solitäre Kopf hinter den Klängen, der durchaus Stimmung zu erzeugen weiß, die allerdings sehr von repetitiven Mustern bestimmt und von mancher Idee irgendwie auch torpediert wird. Etwas hohl klingender Gurgelröchelgesang fügt sich in etwas, das sich zwischen tragischer Epik und flehender Traurigkeit nicht entscheiden kann. Muss es ja aber auch nicht.
HILJAISUUS VAJOAA
HILJAISUUS VAJOAA ( dt.: die Stille sinkt) sind zu dritt und stammen wie schon ARCHE aus Tampere. 2020 ließen sie ihr erstes Album „Tyhjyyden näkyjä“ (dt.: Visionen der Leere) das trübe Dämmerlicht der Welt erblicken. Zur Abwechslung sind die Vocals mal nicht guttural, aber noch immer tief und ein wenig entrückt. Gitarre und Schlagzeug hingegen drücken sich nicht selten geradezu anstrengend in den Vordergrund. Eine schwere Rohheit spielt die Klänge in ein Metier außergewöhnlicher Natürlichkeit, benötigt dadurch aber eine recht speziell geneigte Hörerschaft. Obwohl mir das Konzept sehr zusagt, wollen sich meine Ohren mit dem Sound nicht recht anfreunden. Aber ich hoffe, dass das andere anders empfinden!
HORRE
Wenn Funeral Doom ein Gebäude ist, dann ist HORRE ein Kellerraum. Aber nicht irgendeiner, sondern einer, den man nur erreicht, wenn man durch knietiefen Dreck gewatet ist, nur um eine zugemauerte Tür vorzufinden, hinter der sich jemand das Leben genommen hat. Dieser Raum hinter der Mauer, das ist HORRE. Knarzverrauscht dröhnt es einem auf der Debüt-EP „The Cycle“ entgegen und auch das ebenfalls 2020 erschienene Album „Teetädäk“ kommt nicht sauberer daher. Dabei ist das eindeutig eine Entscheidung und kein Unvermögen des Solo-Projektlers Jesse Laatikainen. Da mir seine sonore Klargesangsstimme sehr gefällt, würde ich mich über ein weniger dronig-knisterndes Werk freuen, aber es gibt sicher auch Interessenten für diesen schmutzigen Urklang.
KADOTETTU
KADOTETTU (dt.: verdammt, verloren), das ist der Name eines finnischen Ambient-Black-Funeral-Doom-Metal-Projekts und auch der Künstlername des dahinterstehenden Sami Rautio. Allerdings liegt sowohl beim 2017er Album „Tyhjyyden virret“ (dt.: Ströme der Leere) als auch bei der 2020er EP „Äänet seinän sisällä“ (dt.: Klingen in der Wand) deutlich mehr Black Metal als Ambient oder Funeral Doom vor. Der ist stark, einzigartig, gewaltig und durch die leichten Tendenzen des Funeral Doom in seiner Tiefe gewaltig und schön, aber darum geht es auf unserer Reise ja eher weniger, also schnell weiter.
LORDAMOR
Unter dem überraschend undoomigen Namen LORDAMOR (dt.: Lord Liebe) finden wir ein Trio, das in den Jahren 2017 und 2018 namenlose Demos herausgebracht hat. Letzteres präsentiert uns einen ruhigen, zurückhaltenden, atmosphärischen, schlichten Funeral Doom mit dark blackened Vocals und minimalistischem Gutturalgrollen. Das präsente Schlagzeug bringt ein wenig Wucht in das tragische Bild einer verzweifelten Depression, reißt aber mitnichten aus der überwältigenden Trübsinnigkeit heraus. Für mehr Fröhlichkeit bitte demnächst wenden. Ach, vergesst es! We are all doomed!
NECROMANTIC LIGHTS
„Suffering Is The Vessel That Holds Your Bliss“ (dt.: Leiden ist das Gefäß, das deine Glückseligkeit hält) ist das letzte Werk, das uns auf dieser Etappe unserer Funeral-Doom-Reise beschäftigen wird. NECROMANTIC LIGHTS, also Sami Koponen alias Værm (dt.: Hitze), ist der Urheber dieser EP von 2016. Im gleichen Jahr erschien zuvor noch eine EP, aber mehr gab dieses Projekt bisher nicht her. Schade! Aber gleichzeitig kann man ihm dafür auch irgendwie dankbar sein, denn der psychedelische Fiebertraum geht an die Substanz. Mehr als die aggressivsten Noise-Projekte wird hier auf Unhörbarkeit abgezielt. Wenn die armen Investigatoren eines Cthulhu-Rollenspiels bei Konfrontation mit unsäglichen Schrecken einen kritischen Fehlschlag würfeln, ist dies die perfekte Soundkulisse für die beängstigenden Folgen. Näher kann man dem Instant-Wahnsinn kaum kommen. Das soll weit weniger Kritik als Lob sein!
Finnland hat merkwürdigen Funeral Doom zu bieten, auch schönen und weniger schönen, aber vor allem reichlich. Deswegen geht es an dieser Stelle nächste Woche mit der zweiten Hälfte der finnischen Funeral-Doom-Bands weiter.