Funeral-Doom-Reise: Etappe 16: Russland II

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 29.04.2021

Intro

Funeral Doom ist vielleicht nicht gerade das lebensfroheste Subgenre der großen Metal-Spielwiese, aber … Nein, kein Aber. Funeral Doom ist der direkte klangliche Mangel an Lebensfreude. Depressiv bis nihilistisch dröhnt und rauscht er sich meist mit einer Mischung aus Death Metal und doomiger Langsamkeit in die Ohren seiner Hörer.
Diesem wunderbaren Genre soll hiermit ein schriftliches Denkmal gesetzt werden: eine Reise durch den aktuellen Funeral Doom.
Welche Band nun tatsächlich Funeral Doom spielt und welche vielleicht doch eher Death Doom, wird hier simpel nach ihrer Kategorisierung in der Encyclopaedia Metallum festgestellt. Welche Band „aktuell“ ist, wird beinahe willkürlich darauf festgelegt, dass sie aktuell als „nicht aufgelöst“ gelten und in den letzten fünf Jahren mindestens eine Studio-LP oder -EP veröffentlicht haben muss – Ausnahmen bestätigen auch diese Regeln. Wer eine Band vermisst, schreibe gern den Stormbringer an und beschwere sich freundlich – vielleicht gibt es dann Nachträge.

Russland

In der 15. Etappe unserer Funeral-Doom-Reise haben wir bereits einige finstere Klänge aus dem europäischen Part des größten Landes unseres Planeten kennengelernt. Dort setzen wir mit unserem heutigen Reiseabschnitt an und präsentieren: russischen Funeral Doom von N bis W – denn es gibt keinen russischen Funeral Doom mit Z.

NORDLUMO

Wir beginnen im sehr, sehr nördlichen Seweromorsk nahe Murmansk, wo uns Nordmad seine Ein-Mann-Band vorstellt. NORDLUMO, Esperanto für Nordlicht, versprüht genau die Stimmung, die man von den leuchtenden Himmelsbändern des Nordens erwartet: Kälte, Unberührtheit, Natürlichkeit, Frieden und Schönheit. Durch die sehr präsenten Gutturalvocals kommt eine Gewalt in die Mixtur auf dem ersten und einzigen Album „Embraced By Eternal Night“ (2016), die es vielleicht nicht unbedingt gebraucht hätte, die aber sicher eine interessante weitere Facette in den äußerst feinen Funeral Doom von NORDLUMO hineinträgt. Klare Empfehlung!

PERPETUAL ANGST

„Wrapped into Despair“ heißt das erste und einzige Album der Atmospheric-Doom-Band PERPETUAL ANGST. Leider erschöpft sich hier auch schon die Informationslage. Aus tiefem Respekt davor, wenn Menschen mit ihrer Kunst für sich bleiben wollen, ziehen wir weiter.

RAIN IN THE AUTUMN FOREST

Death Metal, Funeral Doom und Ambient vermischen sich zu einem Regen im Herbstwald und berichten von der Erinnerung an das verlorene Leben. In anderen Worten: Dmitry Rastorguev hat mit seinem Projekt RAIN IN THE AUTUMN FOREST 2017 das zweite Album „The Memory Of The Lost Life“ veröffentlicht. Neben dem Bandlogo, das in seiner Mittelmäßigkeit erschreckend vorzüglich ist, sei natürlich der Klang erwähnt, der auf der neuesten Platte gegenüber vorherigen Demos deutlich funeral-doomiger geworden ist, aber eine starke Rohheit behalten hat. Der dreckig-deathige Gesang verramscht das ganze etwas. Nur okay.

SALVATION

Erlösung sowie Glück im Vakuum finden wir in Ivanovo (Иваново) in Form des Debütalbums „Happiness in Vacuum“ von SALVATION. Dieses Projekt wird im Alleingang von Blakie „Bloody Noose“ White betrieben. Die LP klingt weniger depressiv, verloren und verzweifelt als das Genre es sonst meist versucht. Dafür erhalten wir ernstzunehmende Portionen von Epik, Klassik und ein derart eindringliches Gitarrenspiel, dass man allein darin die vollständige Essenz des Weltschmerzes finden könnte. Ambientige Atmosphäreneinleitung und ein starkes Gefühl für Komposition machen unseren Stopp bei SALVATION zu einem der empfehlenswertesten am Ostrand des europäischen Kontinents.

SUFFER IN PARADISE

Ephemere sind Pflanzen, die nur für eine sehr kurze Zeit existieren und schnell wieder absterben. Diese Vergänglichkeit des Lebens wollen auch SUFFER IN PARADISE auf ihrer zweiten Platte „Ephemere“ vermitteln, die 2017 erschien. Das gelingt dem Quartett aus Woronesch (Воронеж) auf ihrem durchaus Funeral-Doom-typischen Album auch ausgesprochen gut. Neben eine außerordentlich hoffnungslose Schwere gesellt sich eine grollende Bedrohlichkeit und Gewicht liegt in jeder Note. Abgesehen von vereinzelten perkussiven Fragwürdigkeiten sind SUFFER IN PARADISE eine Band, die man sich nicht nur gut anhören kann, sondern zu der man sicher auch immer wieder zurückkehren wird.

ШИШКИН ЛЕС

In St. Petersburg treffen wir ШИШКИН ЛЕС. Das bedeutet Schischkin-Wald und bezieht sich möglicherweise auf den russischen Maler Iwan Iwanotitsch Schischkin, der für seine Naturmalerei, insbesondere auch seine Waldbilder bekannt ist. Diese Bilder vermitteln zwar durchaus mitunter auch ein Gefühl von Trostlosigkeit, aber wie auch auf dem zweiten Album „Универс“ der fünfköpfigen Band sind Trauer und Vergänglichkeit nicht die einzigen verbundenen Emotionen. Vielmehr handelt es sich bei ШИШКИН ЛЕС um ein Projekt, das sich an den Rand des Funeral Doom begibt und starke Überschneidungen mit Drone und Post-Metal besitzt. Dadurch scheint die Tragik nicht maximiert, sondern in einem universellen Einklang mit dem Sein zu stehen. Eine anfangs weitgehend angenehme Hörempfehlung, die sich aber in anstrengende Noise-Parts hineinsteigert.

WHO DIES IN SIBERIAN SLUSH

Wir beenden unsere Funeral-Doom-Russlandreise mit einer intimen Todeserfahrung. „Intimate Death Experience“ heißt das vierte Album von WHO DIES IN SIBERIAN SLUSH. Es erschien 2018 und macht einen interessanten Spagat zwischen besonders schwermütiger Ruhe und dem insbesondere stimmlich hervorstechenden Death-Metal-Einfluss. Auch wird die trügerisch einlullende Entspanntheit mitunter so jäh unterbrochen und plötzlich in ganz andere Richtungen gelenkt, dass in den Songs selten auch nur ein Keim von Langeweile entstehen könnte. Ich kann verraten, dass in der Band vier Gitarren, ein Bass und ein Keyboard vertreten sind, aber eine Frage bleibt ungeklärt: Wer stirbt im sibirischen Schlamm?

Ganz Europa wurde nun durchkämmt auf unserer Funeral-Doom-Reise, doch noch sind wir nicht am Ende unserer großen Tour durch das Genre. Nächste Woche widmen wir uns den internationalen Bands und Projekten, deren Gründungsmitglieder aus verschiedenen Ländern stammen, wobei jedoch mindestens eines davon europäisch ist.

Alle Etappen unserer Funeral-Doom Reise gibt es hier.


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