Funeral-Doom-Reise: Etappe 17: Europa international I
Intro
Funeral Doom ist vielleicht nicht gerade das lebensfroheste Subgenre der großen Metal-Spielwiese, aber … Nein, kein Aber. Funeral Doom ist der direkte klangliche Mangel an Lebensfreude. Depressiv bis nihilistisch dröhnt und rauscht er sich meist mit einer Mischung aus Death Metal und doomiger Langsamkeit in die Ohren seiner Hörer.
Diesem wunderbaren Genre soll hiermit ein schriftliches Denkmal gesetzt werden: eine Reise durch den aktuellen Funeral Doom.
Welche Band nun tatsächlich Funeral Doom spielt und welche vielleicht doch eher Death Doom, wird hier simpel nach ihrer Kategorisierung in der Encyclopaedia Metallum festgestellt. Welche Band „aktuell“ ist, wird beinahe willkürlich darauf festgelegt, dass sie aktuell als „nicht aufgelöst“ gelten und in den letzten fünf Jahren mindestens eine Studio-LP oder -EP veröffentlicht haben muss – Ausnahmen bestätigen auch diese Regeln. Wer eine Band vermisst, schreibe gern den Stormbringer an und beschwere sich freundlich – vielleicht gibt es dann Nachträge.
Europa international
16 Wochen lang sind wir auf unserer Reise durch Europa getourt. Diese Erfassung allen aktuellen Funeral Doom Metals soll ihr (vorläufiges) Ende finden, indem wir uns den Bands zuwenden, die mindestens einen Fuß auf europäischem Boden haben, aber aus mehr als einem Land stammen. Wieder einmal gibt es davon so viele, dass es sich lohnt, diesmal die Projekte von A bis M und kommende Woche den Rest des Alphabets zu besuchen.
AEONIAN SORROW
Trauer in einem von Menschenverstand nicht ermessbaren Zeitraum wollen AEONIAN SORROW zuletzt auf ihrer 2020er EP „A Life Without“ (dt.: ein Leben ohne) vermitteln. Ein Unterfangen, das dem Quintett hervorragend gelingt, das sich aktuell vorwiegend aus finnischen Musikern zusammensetzt. Das Keyboardspiel und der weibliche Klargesang, der die Musik in Richtung von Genres wie Gothic oder Symphonic Metal rückt und Ville Rutanens mitunter ultratrockenen Growls hervorragend kontrastiert, stammt allerdings von der Griechin Gogo Melone. Außerdem fließt aus Rumänien mal wieder Daniel Neagoes Schlagzeugspiel mit in den Sound ein (siehe Etappe 4, Etappe 8 und Etappe 14). Dieser Sound besitzt insbesondere durch die Kombination der Gesangsstile eine Einzigartigkeit, die AEONIAN SORROW weit über die die Kreise der Funeral-Doom-Fangemeinde hinaus bekannt machen könnte – und sollte!
ANCIENT LAMENT
ANCIENT LAMENT ist ein Projekt, das aus dem französischen Hangsvart (siehe Etappe 4 und Etappe 5) und dem serbischen Borgion besteht. Die uralte Klage wurde 2015 mithilfe von Botschaften aus den Kristallen vermittelt. Das Debütalbum „Messages from the Crystals“ rauschdröhnt sich unsauber durch ein alles andere als vergnügliches Universum voller minimalistischem Grummelgesang und schneidenden Gitarrentönen. Eine unangenehme Klangmasse mit reichlich Ambient und Drone dringt unaufhaltsam in die Gehörgänge und empfiehlt sich eher als Untermalung für ein Space-Horror-Abenteuer als für die gewohnte traurige Begräbnisentspannung.
APHONIC THRENODY
Mit APHONIC THRENODY (dt.: geräuschloses Klagelied) gehen wir weit über die Grenzen Europas hinaus. Aktuell besteht die Band nämlich aus dem britischen Riccardo Veronese (siehe auch ARRANT SAUDADE in Etappe 4 und TOWARDS ATLANTIS LIGHTS in Etappe 18), dem US-Amerikaner Justin Buller (siehe auch IN OBLIVION), dem Deutschen Val Atra Niteris (siehe auch FROWNING in Etappe 1) und dem Rumänen Daniel Neagoe, der uns ja schon manches Mal begegnet ist. Dieses Projekt besitzt kaum weniger Death-Metal- als Funeral-Doom-Elemente, ist also bei weitem nicht nur langsam und trostlos, sondern zugleich vorpreschend und vernichtend. Eine detailliertere Betrachtung des 2020 erschienenen dritten Albums „The Great Hatred“ gibt es im Review. Die vierte Platte „The All Consuming Void“ ist auch schon auf dem Markt. Gebt ihr der Super-Funeral-Doom-Group APHONIC THRENODY eine Chance?
DÉHÀ & CHRIS DALCIN
Das sympathische belgische Multitalent Déhà, bekannt insbesondere für sein Weltklasse-Projekt SLOW (siehe Etappe 3), nimmt sich unter dem Projektnamen DÉHÀ die Freiheit, sich musikalisch nicht einzuschränken. So wirft er mit Alben geradezu um sich. Ungefähr das zwanzigste seit 2018 heißt „Par Le Sang Et La Fin“ (dt.: durch das Blut und das Ende). Dafür hat er sich mit dem US-Amerikaner Chris Dalcin (ELUSIVE TRAVEL) zusammengetan und nicht nur Funeral Doom, sondern sogar Extreme Funeral Doom erschaffen. Ein Alptraum in Schwarz und Grau, ein Höllentripp aus dem Tal des Angsthassleidverzweiflungstodes, eine Ausgeburt der grollenden, walzenden, schmerzverzerrten Hilflosigkeit, eine Weiterentwicklung, ein Meilenstein und eine neue Messlatte für den extrem Flügel des Funeral Doom. Wenn euch alles andere hier bisher zu lasch, zu weich, zu fröhlich war, hört bitte dieses erst 2021 veröffentlichte Album!
GOD EAT GOD
GOD EAT GOD oder god meets god? Um es mal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich bin auch nur ein subjektive Musik-Liebhaber. Und ich habe in der atmosphärischen bis doomigen Ecke des Metals mehr oder weniger zwei Lieblingskünstler, über die man meines Erachtens einfach stolpern muss, wenn man sich mit Funeral Doom beschäftigt. Das sind die eben schon ausführlich erwähnten Déhà und Daniel Neagoe. Bei GOD EAT GOD arbeiten die beiden zusammen, gemeinsam mit Jim, Casper und Anton Rosa. Ich kann nicht wirklich behaupten, dass dabei mein Lieblingsprojekt herausgekommen wäre, aber ein überragend starkes, tendenziell deathiges, genreübergreifendes, aber auch sehr funeral-doomiges Stück Metal ist das bisher leider einzige Album „Abandonment“ (2016) (dt.: Verzicht, Verlassenwerden, Stilllegung) auf jeden Fall geworden. Hier trifft so viel Kunst aufeinander, dass ich nur dazu raten kann, das Werk zu hören, statt Beschreibungen davon zu lesen. Beeindruckend!
MESMUR
MESMUR beenden die erste der beiden letzten Etappen unserer Funeral-Doom-Reise durch Europa. Die vier Mitglieder der Band stammen aus den Vereinigten Staaten, Australien und Italien. Gemeinsam stellten sie 2019 ihr drittes Album auf die Ladentheke. „Terrene“ (italienisch für irdisch, weltlich) ist ein bedrohlich-düsteres Werk mit eindringlichem Riffing und einem weit in den Vordergrund ragenden Schlagzeug. Kaputt, tödlich, einengend, ungemütlich. Jegliche Entspannung tritt erst ein, wenn das Album wieder abgeschaltet wird, aber genau das ist Ziel und Stärke von MESMUR, deren erfahrene Musiker hier wie feiner Kies in einem gut geölten Uhrwerk wirken. Perfekt unperfekt!
Das waren die internationalen Funeral-Doom-Bands Europas von A bis M. Die zweite Hälfte der langsamen Beerdigungsbegleitartisten und damit der vorläufige Abschluss unserer Reise folgt kommende Woche.