Funeral-Doom-Reise: Etappe 18: Europa international II

Text: Jazz Styx
Veröffentlicht am 13.05.2021

Intro

Funeral Doom ist vielleicht nicht gerade das lebensfroheste Subgenre der großen Metal-Spielwiese, aber … Nein, kein Aber. Funeral Doom ist der direkte klangliche Mangel an Lebensfreude. Depressiv bis nihilistisch dröhnt und rauscht er sich meist mit einer Mischung aus Death Metal und doomiger Langsamkeit in die Ohren seiner Hörer.
Diesem wunderbaren Genre soll hiermit ein schriftliches Denkmal gesetzt werden: eine Reise durch den aktuellen Funeral Doom.
Welche Band nun tatsächlich Funeral Doom spielt und welche vielleicht doch eher Death Doom, wird hier simpel nach ihrer Kategorisierung in der Encyclopaedia Metallum festgestellt. Welche Band „aktuell“ ist, wird beinahe willkürlich darauf festgelegt, dass sie aktuell als „nicht aufgelöst“ gelten und in den letzten fünf Jahren mindestens eine Studio-LP oder -EP veröffentlicht haben muss – Ausnahmen bestätigen auch diese Regeln. Wer eine Band vermisst, schreibe gern den Stormbringer an und beschwere sich freundlich – vielleicht gibt es dann Nachträge.

Europa international

Seit 17 Wochen reisen wir nun mit der langsamen Beerdigungsmusik durch Europa und nun ist es da, das Finale unserer Funeral-Doom-Reise. Ein (vorerst) letztes Mal betrachten wir sechs europäische Bands – von M bis Y – mit Musikern aus verschiedenen Staaten, die in den vergangenen fünf Jahren das Genre bereichert haben.

NIGHT OF SUICIDE

Kaputt beginnt diese Abschiedsetappe in der Nacht des Selbstmords, denn „Broken“ (2017) ist der Titel der vierten Platte von NIGHT OF SUICIDE. Das sind Markus Heinonen aus Finnland an den Instrumenten und Ben de Graaff aus den Niederlanden, der dem Projekt seine Stimme leiht. Diese erscheint mal klar und flüsternd, mal tief grollend guttural, immer passend zum ruhig gehaltenen bis minimalistischen Tenor der Musik. Konträr zum black-metallenem Erscheinungsbild wirkt das musikalische Arrangement eher entspannend, ohne jedoch die Pfade der Trauer hinter sich zu lassen. Wer keine Gewalt und keinen Bombast in seinem Funeral Doom sucht, kann hier sehr glücklich werden.

ПОЕЗД РОДИНА

ПОЕЗД РОДИНА (sprich: Poyezd Rodina, dt.: Zug Mutterland) ist eine russisch-ukrainische Koproduktion von Andrey T. und Eugene, die ihr 2020 entstandenes Album „Прими раба твоего“ (sprich: Primi raba tvoyego, dt.: Akzeptiere deinen Sklaven) leider recht geheim halten. Deswegen beruhen folgende Aussagen auf dem Vorgängeralbum „Белая даль“ (2014) (sprich: Belaya dal', dt.: Weißer Abstand): Der experimentelle Funeral Doom hat einen fast noise-haften Sauberkeitsgrad, der gerne mit Worten wie „Underground“ oder „true“ schöngeredet werden möchte, aber tatsächlich einfach nur eine miserable Tonqualität darstellt. Dahinter verbergen sich allerdings interessante, wenn auch eigenwillig-unrunde Kompositionen. Angenehm ist das aber nicht.

SORTA MAGORA

Bei SORTA MAGORA finden Belgien und die Slowakei sowie Black Metal, Funeral Doom und Drone zusammen. Belgien? Ja, natürlich geht es um den Doom-Belgier Déhà, der hier für alle Instrumente verantwortlich ist. Die hervorragende minimalistische Extreme-Metal-Stimme dazu kommt überraschenderweise von einer Dame, die sich den Namen Dryáda gibt. Das einzige Album des Projekts erschien 2019 und heißt „Nič“ (slowenisch für „nichts“) und lädt in einen Alptraum ein, der – wie für Déhà üblich – neue Maßstäbe für das Genre setzt. Für Genrefremde bedeutet das eine neue Dimension von Krach, für Freunde des gehobenen Lärms mag es allerdings ein perfektionistischer Gewaltakt sein, der seinesgleichen sucht. Dryáda und Déhà dürfen sich sehr, sehr gerne wieder zusammentun für einen zweiten Akt dieser kakofonisch brillanten Wutschmerzapokalypse.

TOWARDS ATLANTIS LIGHTS

Den Atlantis-Lichtern entgegen geht es bei der Supergroup von Ivan Zara (siehe VOID OF SILENCE in Etappe 7) und Ivano Olivieri aus Italien, Riccardo Veronese (siehe ARRANT SAUDADE in Etappe 4 und APHONIC THRENODY in Etappe 17) aus dem Vereinigten Königreich und Kostas Panagiotou (siehe PANTHEIST in Etappe 3) aus Griechenland. 2018 erschien das Debütalbum „Dust Of Aeons“ (dt.: Staub der Ewigkeit), auf dem atmosphärischer Funeral Doom mit Death Metal zu einem gewaltigen Ungetüm vermengt wird, das durch naturgöttlichen Gutturalgesang und episch-entrückte Klar-Vocals so etwas wie eine trockenere Version isländisch-skandinavischer Post-Metal-Tiefe gewinnt. Diese 30 Minuten sollte man sich einfach mal gönnen!

UNSEEN

UNSEEN (dt.: ungesehen, das Unvorhergesehene) ist eine Band mit J. Vomit aus dem Vereinigten Königreich und Primitive aus Argentinien. Mehr als die 2015er EP „Necrospheric“ ist nicht erschienen. Darauf gibt es einen rohen, langsamen, tragisch-gewaltigen Black-Metal-Funeral-Doom Mix, der sich mehr als ungemütlich ins leidgeprüfte Ohr drängt. Okkultistisch-nekromantisch kratzdröhnt sich eine schmerzhafte Erfahrung ins Gemüt, die von einer Sumpfdämonenstimme begleitet wird, um die wirklich niemand gebeten hat. Wer Selbsthass schluckt wie Druffies die Es, könnte hier Glück erfahren– oder eben das Funeral-Doom-Äquivalent von Glück.

YRSEL

Mit YRSEL beenden wir unsere Funeral-Doom-Reise – zumindest erst einmal. Zum Schluss gibt es noch mal einen dunklen Couvée aus Funeral Doom, Drone und vor allem Ambient aus Frankreich und Schweden. Schwedisch ist auch der Bandname, der Schwindel bedeutet. Schwindelig kann dem Zuhörer werden, wenn er in den ruhigen, aber immer verschlingenden Sog dieser archaisch anmutenden, in ihrer Reduziertheit überwältigenden Musik gerät, die wir auf dem neuesten der fünf Alben („Manie“) seit 2019 in uns hineinfließen lassen dürfen. Zu diesem Duo gehört Joulien Louvet, der uns mit seinem Soloprojekt THE AUSTRASIAN GOAT auf der fünften Etappe begegnet ist.

18 Etappen lang sind wir durch Europa gereist und haben alles in uns aufgenommen, was den Genretitel Funeral Doom trägt. Es war mir eine bittere Freude und ich danke fürs Lesen meiner Worte sowie das Hören dieser wunderbaren, leider allzu gut zur Gegenwart passenden Musik.

Alle Etappen unserer Funeral-Doom Reise gibt es hier.


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